Auswirkungen der Corona-Massnahmen auf die Erwerbstätigkeit in der Schweiz

Diese Projektseite wurde zwischen März und Mai 2020 laufend mit neuen Ergebnissen aktualisiert. Das Projekt ist nun abgeschlossen.

Mitte März hat der Bund scharfe Massnahmen ergriffen, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Veranstaltungsverbote, Schliessungen von Geschäften, Restaurants und Bars sowie die Empfehlung, wenn immer möglich von zuhause aus zu arbeiten, schränken die wirtschaftliche Aktivität in beträchtlichem Ausmass ein. Diese Massnahmen haben bereits im März und April 2020 zu erheblichen Anstiegen vor allem in der Kurzarbeit, aber auch in der Arbeitslosigkeit geführt (Abbildung 1).

Abbildung 1: Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit von 2004-2020

Ziel dieses Projekts ist es, die Auswirkungen der «ausserordentlichen Massnahmen» des Bundes auf die Erwerbstätigkeit in der Schweiz möglichst in Echtzeit zu quantifizieren und deren Verteilung auf die Schweizer Bevölkerung darzustellen. Hierfür haben wir einen sogenannten «Lockdown-Index» gebildet. Dieser klassifiziert einen Beruf als «vom Lockdown eingeschränkt», wenn er eine geringe physische Distanz zu anderen Menschen mit sich bringt (d.h., direkter Körperkontakt bis hin zu einem geteilten Büro) und als «nicht vom Lockdown eingeschränkt», wenn er weniger engen Kontakt erfordert. Der Lockdown-Index misst also nicht nur, ob ein Beruf während des strikten Lockdowns eingeschränkt ist, sondern auch, wie schwierig es für verschiedene Berufe sein wird, die Hygieneregeln bei einer möglichen Lockerung der Massnahmen einzuhalten. Ausserdem berücksichtigen wir, dass einige essenzielle Sektoren von den Massnahmen des Bundes ausgenommen sind. Christian Rutzer und Matthias Niggli von der Universität Basel haben einen sogenannten Home-Office-Index gebildet, der darauf beruht, ob einzelne Berufe von zuhause aus ausgeübt werden können.

1. Lockdown-Index nach Regionen
Abbildung 2 zeigt, welcher Anteil der Bevölkerung bei der Ausübung des Berufs auf körperliche Nähe angewiesen und somit vermutlich durch den Lockdown stark eingeschränkt ist. Im Durchschnitt über die gesamte Schweiz hinweg sind demnach etwa 31% aller Jobs vom Lockdown direkt eingeschränkt. Am stärksten betroffen sind die innerschweizerischen Kantone Obwalden (39%) und Uri (37%) sowie Appenzell Innerrhoden (38%) und das Wallis (35%). Verhältnismässig wenig betroffen sind die Kantone Jura (27%), Zug (28%) und Genf (28%) sowie Zürich (29%) und Basel-Stadt (29%).

Abbildung 2: Lockdown-Index nach Kanton

Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn wir den durchschnittlichen Lockdown-Index nicht nach Kanton, sondern nach Arbeitsmarktgrossregion bilden (Abbildung 3). Arbeitsmarktgrossregionen berücksichtigen Pendlerströme und geben so ein genaueres Bild darüber ab, wie sich die Anzahl Arbeitssuchender im Einzugsgebiet von dort ansässigen Firmen entwickelt. Die Regionen Zürich und Genf sind weiterhin unter den am wenigsten betroffenen Arbeitsmärkten. Verhältnismässig stark eingeschränkt sind weiterhin das Wallis und nun auch die Regionen St. Gallen, Winterthur und Aarau-Olten. Die Variation ist auf dieser Ebene zwar etwas geringer, da wir Durchschnitte über weniger, dafür grössere Einzugsgebiete bilden, weist aber dennoch starke regionale Unterschiede im Anteil der durch den Lockdown eingeschränkten Berufe auf.

Abbildung 3: Lockdown-Index nach Arbeitsmarktgrossregion

Abbildung 4 zeigt schliesslich die geographische Verteilung für die 106 Arbeitsmarktregionen in der Schweiz. Dies ist eine deutlich feinere Aufschlüsselung als die der 26 Kantone oder 16 Arbeitsmarktgrossregionen. Aus diesem Grund ist die Variation auch grösser, mit Werten zwischen 22% und 48% aller Erwerbstätigen, die als eingeschränkt gelten. Diese Aggregationsebene würde es auch ermöglichen, ein mögliches Stadt-Land-Gefälle zu erkennen. Schon auf dieser Ebene ist zu erkennen, dass es keinen erheblichen Unterschied zwischen ländlichen und städtischen Regionen gibt. 

Abbildung 4: Lockdown-Index nach Arbeitsmarktregion

In Abbildung 5 berichten wir explizit den durchschnittlichen Lockdown-Index nach Stadt/Land-Typologie. Die Werte unterscheiden sich nur unwesentlich, mit einem leicht höheren Wert auf dem Land als in der Stadt. Dies mag überraschen, da ländliche Regionen in durchaus anderen Industrien spezialisiert sind als städtische Gebiete. Solche Unterschiede wiegen sich allerdings in unserem Index gegeneinander auf. So sind städtische Regionen stärker vertreten in wenig eingeschränkten Branchen wie dem Gesundheitssektor oder der öffentlichen Verwaltung, ländliche Regionen hingegen umso mehr in der Landwirtschaft, die ebenfalls wenig eingeschränkt ist. 

Im Gegensatz zum Anteil der Erwerbstätigen, die im Home-Office arbeiten können (Rutzer und Niggli, 2020) sind also ländliche Regionen nach dem Lockdown-Index nicht deutlich stärker betroffen als Städte. Dieser Unterschied liegt darin begründet, dass gemäss dem Lockdown-Index beispielsweise Landwirt*innen beinahe uneingeschränkt weiterarbeiten können. Home-Office ist für diese Berufsgruppe allerdings nicht möglich. 

Abbildung 5: Lockdown-Index nach Stadt/Land-Typologie

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2. Lockdown-Index nach Branchen
Als Nächstes untersuchen wir, welche Branchen besonders betroffen sind. Abbildung 6 zeigt für 34 Branchen, welcher Anteil der Stellen demnach als eingeschränkt gilt. Die Unterschiede sind sehr ausgeprägt, mit einzelnen Branchen, in denen über 70% aller Erwerbstätigen direkt von den Massnahmen betroffen sind, und anderen Branchen, die uneingeschränkt weiter arbeiten können. Unter den besonders betroffenen sind insbesondere die grösseren Branchen Gastgewerbe (ca. 160'000 Vollzeitäquivalente), Erziehung und Unterricht (250'000) und das Baugewerbe (270'000) hervorzuheben. Per Konstruktion sind die essenziellen Sektoren Gesundheit sowie die Öffentliche Verwaltung komplett uneingeschränkt. Dies betrifft zum Teil auch die Sektoren Autohandel und -reparatur sowie Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, da der Bund weiterhin Werkstätten von Fortbewegungsmitteln und Banken erlaubt, uneingeschränkt weiterzuarbeiten. Auch ohne Sondergenehmigungen sind die Branchen Land- und Forstwirtschaft, Information und Kommunikation sowie freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen nur geringfügig eingeschränkt.

Abbildung 6: Lockdown-Index nach Branchen

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3. Lockdown-Index nach soziodemographischen Merkmalen
Das starke Gefälle nach Branchen spiegelt sich auch in der Verteilung nach Einkommensklassen wider (Abbildung 7). Einkommen sind hier definiert als das jährliche Bruttoeinkommen von Erwerbstätigen ohne Nebenerwerb. Erwerbstätige in den unteren Einkommensklassen sind deutlich stärker vom Lockdown betroffen. In allen unteren sechs Einkommensklassen (bis zu einem Jahreseinkommen von CHF 78,000) sind zwischen 32% und 36% der Erwerbstätigen durch die Massnahmen beschränkt. Dagegen ist diese Zahl für die oberste Einkommensklasse mit lediglich 18% nur etwas mehr als halb so hoch.

Abbildung 7: Lockdown-Index nach Einkommensklasse

Abbildung 8 zeigt den Lockdown-Index für verschiedene Altersklassen, gruppiert in Fünfjahresintervalle und über 65-Jährige. Insgesamt ist das Bild hier deutlich ausgeglichener als bei den bisherigen Merkmalen. Einzig Berufsanfänger – insbesondere die 20- bis 24-Jährigen – weichen mit einem etwa 20% höheren Anteil von eingeschränkten Erwerbstätigen auffallend vom Durchschnitt ab.

Noch geringer sind die Unterschiede bei den Geschlechtern und beim Zivilstand (Abbildung 9). Frauen sind im Durchschnitt weniger stark eingeschränkt als Männer, jedoch ist der Unterschied nur geringfügig. Bei beiden Geschlechtern sind ledige Menschen etwas stärker betroffen als solche, die verheiratet oder in einer eingetragenen Partnerschaft sind. Wir vermuten, dass dies sowohl mit dem unterschiedlichen Durchschnittsalter dieser beiden Gruppen zusammenhängt als auch mit Kindern im Haushalt, die Erwerbstätigen tendenziell einen Anreiz für Jobs bieten, die auch von zuhause aus ausgeübt werden können.

Abbildung 8: Lockdown-Index nach Altersgruppe

Abbildung 9: Lockdown-Index nach Geschlecht und Zivilstand

Daten (csv)                                                                                                            Nach oben

4. Erklärung des Anstiegs der Kurzarbeit
In Folge der Corona-Krise wurden in der Schweiz bis zum 28. April etwa 1,9 Mio. Anträge auf Kurzarbeit gestellt. Damit ist Ende April 2020 mehr als jede/r dritte Erwerbstätige in der Schweiz auf Kurzarbeit gesetzt. 

In diesem Kapitel beschreiben wir zunächst die Verteilung dieser Kurzarbeitsanträge über Kantone und Branchen hinweg. Diese Zahlen des SECO beruhen auf den Anträgen für Kurzarbeit, die von den kantonalen Amtsstellen zwischen dem 01. März und 28. April bewilligt wurden. Die tatsächlich bezogenen Leistungen werden jedoch erst in drei Monaten bekannt sein und könnten stark von den aktuellen Anträgen abweichen (siehe Diskussion am Ende dieses Abschnitts). Wir teilen die jeweilige Anzahl genehmigter Anträge zur Kurzarbeitsentschädigung durch die Anzahl Erwerbstätiger in 2017. Abbildung 10 zeigt den Anstieg der genehmigten Kurzarbeitsanträge pro Erwerbstätige/r nach Kanton. Den stärksten Anstieg erlebten in diesem Zeitraum die Kantone Basel-Stadt, Tessin und Jura mit einem Anteil an Kurzarbeitsanträgen von über 45% aller Erwerbstätigen. Die geringsten Anteile weisen Bern und Appenzell Ausserrhoden mit weniger als 29% auf.

Abbildung 10: Anstieg der Kurzarbeitsanträge pro Erwerbstätige/r nach Kanton

Noch ausgeprägter sind die Unterschiede über Branchen hinweg in Abbildung 11. An der Spitze liegen hier die Textil- und Bekleidungsbranche sowie das Gastgewerbe mit über 75% aller Erwerbstätigen. Ausserdem stark betroffen sind die grossen Branchen Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie das Baugewerbe und die Elektrotechnik-, Elektrik- und Uhrenindustrie. Die geringsten Anteile weise die öffentliche Verwaltung und Sozialversicherungen mit ca. 1% aller Erwerbstätigen sowie die Land- und Forstwirtschaft und die Finanz- und Versicherungsdienstleistungen auf. Ebenfalls wenig betroffen sind die zum Teil staatlichen Branchen Energieversorgung sowie Erziehung und Unterricht.

Abbildung 11: Anstieg der Kurzarbeitsanträge pro Erwerbstätige/r nach Branche

Als Nächstes untersuchen wir, wie gut der Lockdown-Index – also die Erwerbsstruktur in den jeweiligen Branchen und Kantonen – den aktuellen Anstieg in der Kurzarbeit erklären kann. In Abbildung 12 berichten wir den Zusammenhang zwischen Lockdown-Index und dem Anstieg der genehmigten Kurzarbeitsanträge pro Erwerbstätige/r nach Branchen. Es besteht ein starker positiver Zusammenhang. Der Lockdown-Index kann 29% dieser Variation erklären. Auffällig ist, dass die Branche „Erziehung und Unterricht“ gemäss dem Lockdown-Index einen deutlich höheren Anstieg in Kurzarbeitsanträgen aufweisen sollte.

Abbildung 12: Zusammenhang Kurzarbeit und Lockdown-Index nach Branche

Die Diskrepanz für Erziehung könnte dadurch zu erklären sein, dass in dieser Branche viele Erwerbstätige im öffentlichen Sektor beschäftigt sind. Gemäss den Richtlinien des SECO werden Kurzarbeitsentschädigungen nur ausgerichtet falls ohne diese Entschädigung der Arbeitsplatz abgebaut würde, was für öffentlich-rechtliche Arbeitgeber in der Regel nicht der Fall ist. Aus diesem Grund passen wir im nächsten Schritt den Lockdown-Index so an, dass wir alle im öffentlichen Sektor angestellten Personen als «nicht eingeschränkt» kodieren. Abbildung 13 zeigt den Zusammenhang zwischen diesem angepassten Lockdown-Index und dem Anstieg der Kurzarbeitsanträge pro Erwerbstätige/r. Diese Anpassung erhöht die Vorhersagekraft des Lockdown-Index merklich. Der Lockdown-Index kann nun mehr als 58% der Variation in der Kurzarbeit erklären. Dies ist zu einem grossen Teil durch die Branche „Erziehung und Unterricht“ getrieben, die im angepassten Index einen deutlich niedrigeren Wert (0.15 im Vergleich zu 0.56) aufweist. Es scheint also, dass eine Anpassung für den öffentlichen Sektor speziell für die Vorhersage von Kurzarbeit eine starke Verbesserung darstellt.

Abbildung 13: Zusammenhang Kurzarbeit und Lockdown-Index (angepasst für öffentl. Sektor) nach Branche

Als Nächstes untersuchen wir, wie gut der Lockdown-Index die berichteten Zahlen zum Anstieg der Kurzarbeit nach Kanton erklären kann. Abbildung 14 zeigt den Zusammenhang zwischen Lockdown-Index und dem Anstieg der Kurzarbeit nach Kanton. Auf dieser Ebene ist kein eindeutiger oder sogar ein negativer Zusammenhang zu erkennen. 

Abbildung 14: Zusammenhang Kurzarbeit und Lockdown-Index nach Kanton

Wie lässt es sich erklären, dass der Lockdown-Index nicht in der Lage ist die beobachtete Kurzarbeit in den Kantonen zu erklären obwohl er die Betroffenheit einzelner Branchen sehr gut abbildet? Im Folgenden diskutieren wir potenzielle Erklärungen für diese Diskrepanz. Zunächst berücksichtigen wir wieder, dass Firmen im öffentlichen Sektor in der Regel keine Kurzarbeitsanträge stellen können. Wir nehmen daher dieselbe Anpassung vor, die zuvor auf Branchenebene zu einer Verbesserung der Vorhersagekraft geführt hat. Ausserdem ziehen wir in Betracht, dass die Kantone mit dem höchsten Anstieg in der Kurzarbeit grösstenteils jene sind, die auch einen hohen Anteil an Grenzgängern aufweisen. Unsere Datengrundlage zur Berechnung des Lockdown-Index (SAKE 2018) deckt nur die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz ab, und beinhaltet somit keine Grenzgänger. Grenzgänger mögen sich in den Berufen, die sie ausüben, jedoch vom Durchschnitt der Schweizer Wohnbevölkerung unterscheiden. In diesem Fall könnten wir mit unseren Daten einen Messfehler begehen, wenn es uns darum geht, die Einschränkungen für die gesamte erwerbstätige Bevölkerung abzubilden. Wir verwenden daher Informationen über die Anzahl Grenzgänger nach Branche und Kanton, um einen Lockdown-Index für die gesamte erwerbstätige Bevölkerung zu erstellen. Wir beschreiben die Details zum Vorgehen bei dieser Anpassung im Kapitel «Methodik» weiter unten. Diese Anpassung für Grenzgänger führt zu den grössten Bewegungen für die Kantone mit dem höchsten Anteil an Grenzgängern: Tessin (34% aller Erwerbstätigen Grenzgänger), Genf (30%), Jura (25%), Basel-Stadt (22%), Basel-Landschaft (20%), Neuenburg (16%) und Schaffhausen (14%).

In Abbildung 15 zeigen wir den Zusammenhang zwischen diesem angepassten Lockdown-Index und dem Anstieg der Kurzarbeitsanträge. Auch die Anpassung des Lockdown-Index für Erwerbstätige im öffentlichen Sektor sowie Grenzgänger ist nicht in der Lage, den fehlenden Zusammenhang zu erklären.

Abbildung 15: Zusammenhang Kurzarbeit und Lockdown-Index (angepasst für öffentl. Sektor und Grenzgänger) nach Kanton

Die Kurzarbeitszahlen nach Kanton beruhen auf den Anträgen bei den Amtsstellen des jeweiligen Kantons. Sie sind aus folgenden Gründen nur eine vorläufige Abschätzung der zu erwartenden tatsächlich ausbezahlten Entschädigungen und ihrer Aufteilung auf die Kantone: 

  1. Arbeitgeber stellen die Anträge auf Kurzarbeit teilweise am Hauptsitz des Unternehmens aus und nicht unbedingt am Ort des Betriebes. Das bedeutet, dass beispielsweise die Anträge der Warenhauskette Manor AG möglicherweise gesammelt im Kanton Basel-Stadt eingehen, obwohl die betroffenen Arbeitnehmer sich über die Warenhäuser in der ganzen Schweiz verteilen. Es kann auch vorkommen, dass Unternehmen gleichzeitig Anträge am Hauptsitz und am Standort einzelner Betriebe stellt. Solche Doppelzählungen werden erst bei der Abrechnung bereinigt. Abbildung 16 zeigt, dass die Anzahl genehmigter Kurzarbeitsanträge teils ein Vielfaches der gesamten Erwerbstätigen in dem jeweiligen Kanton und der jeweiligen Branche ausmacht.
  2. Es handelt sich bei diesen Zahlen zwar um Kurzarbeitsanträge, die aufgrund der aktuell dringlichen Lage im Eilverfahren beinahe komplett „genehmigt“ worden sind. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass ein bedeutender Anteil dieser Anträge nicht abgerufen wird oder nach genauerer Prüfung nicht ausgezahlt werden. Die vom SECO berichtete bewilligten Kurzarbeitsanträge dürften deshalb als Obergrenze der tatsächlich entschädigten Stellen mit Kurzarbeit sein.
  3. Die Genehmigung von Kurzarbeit varrierte in der Vergangenheit stark über Kantone hinweg. Die Unterschiede im Anteil genehmigter Anträge betrugen während der Grossen Rezession von 2009 gemäss (Kopp und Siegenthaler, 2020) teils bis zu 40 Prozentpunkte. Die kantonale Verteilung der tatsächlich entschädigten Kurzarbeit könnte deshalb stark von der hier Gezeigten abweichen.

Abbildung 16: Anteil der Kurzarbeitsanträge pro Erwerbstätige/r nach Kanton und Branche

                                                                                                                                Nach oben

5. Messung der Betroffenheit von Kurzarbeit mit Internet-Nutzerdaten
Unter anderem aufgrund dieser Limitationen der kantonalen Kurzarbeitsdaten, versuchen wir im Folgenden mit einer alternativen Methode die regionale Verteilung der Kurzarbeit abzuschätzen. In Zusammenarbeit mit comparis.ch haben wir aggregierte Nutzungsdaten des Kurzarbeitsrechners nach Kantonen analysiert. Comparis.ch ist mit etwa 100 Mio. Besuchen pro Jahr eine der populärsten Websites der Schweiz. Ende März hat comparis.ch einen Kurzarbeitsrechner online geschaltet, der es Nutzern erlaubt, die Folgen einer Umstellung auf Kurzarbeit für den eigenen Lohn zu berechnen. Jeder Aufruf des Kurzarbeitsrechners kann einem Nutzer und über die IP-Adresse einem Kanton zugeordnet werden. Bis zum 20. April haben bereits 90’000 Nutzer diesen Rechner verwendet. 

In unserer Analyse zeigen wir den Anteil der Nutzer des Kurzarbeitsrechners in Prozent aller comparis.ch-Nutzer des jeweiligen Kantons. So kontrollieren wir für die unterschiedliche Grösse der Kantone wie auch für potenzielle Unterschiede in der Beliebtheit von comparis.ch in den verschiedenen Kantonen. Wir weisen nur die Werte für die deutschsprachigen Kantone aus, da der Kurzarbeitsrechner von Comparis nur in der Deutschschweiz aktiv beworben wurde (via «20 Minuten», einem der reichweitenstärksten Newsportale der Schweiz).

Die Nutzung des Kurzarbeitsrechners im April 2020 unterscheidet sich stark über Kantone hinweg (Abbildung 17). Im deutschsprachigen Raum haben die Kantone Graubünden, Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Zug mit unter 4,5% die niedrigste Nutzung. Den höchsten Wert weist mit über 7% der Kanton Uri auf. Auch Appenzell Innerrhoden und Nidwalden haben mit über 6% hohe Anteile. Es wäre grundsätzlich möglich, dass die Beliebtheit von comparis.ch in einigen entscheidenden Services wie z.B. dem Home-Finder sich über Kantone hinweg unterscheidet. Um auszuschliessen, dass die hohen Anteile in den besagten Kantonen tatsächlich durch die starke Nutzung des Kurzarbeitsrechners, und nicht durch die verhältnismässig geringe Nutzung des Home-Finders getrieben sind, berechnen wir als alternatives Mass den Anteil der Nutzer des Kurzarbeitsrechners in Prozent aller comparis.ch-Nutzer für Versicherungsprodukte. Die Ergebnisse bleiben sehr ähnlich, mit den höchsten Werten für Uri, Appenzell Innerrhoden und Nidwalden und Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Graubünden in der untersten Kategorie.

Abbildung 17: Nutzung des Kurzarbeitsrechners auf comparis.ch nach Kanton

In Abbildung 18 zeigen wir, wie die Nutzung des Kurzarbeitsrechners und der Lockdown-Index zusammenhängen. Es besteht eine starke positive Korrelation zwischen dem Lockdown-Index und dem Interesse am Kurzarbeitsrechner. Der Lockdown-Index erklärt circa 40% der Unterschiede in der Nutzung des Kurzarbeitsrechners in den 19 deutschsprachigen Kantonen. Die grossen regionalen Unterschiede können also zu einem grossen Teil durch die unterschiedliche Wirtschaftsstruktur erklärt werden. Wir sehen diese starke Korrelation auch als Beleg dafür, dass der Lockdown-Index zeitnahe Abschätzungen über die initialen Effekte des Lockdowns erlaubt.

Abbildung 18: Korrelation zwischen Lockdown-Index und Nutzung des Kurzarbeitsrechners nach Kanton

Die Anzahl der genehmigten Kurzarbeitsanträge pro Kanton ist nur bedingt informativ für den Anteil der Erwerbstätigen, die in einem Kanton leben und auf Kurzarbeit gestellt werden. Wir halten den Lockdown-Index für einen vielversprechenden, komplementären Indikator für die regionale Verteilung der Kurzarbeit. Zum einen, weil er eine starke Vorhersagekraft für Kurzarbeitsanträge auf Branchenebene hat, welche von den meisten Nachteilen der kantonalen Zahlen befreit sind. Zum anderen, weil er zudem das Interesse am comparis.ch-Kurzarbeitsrechner vorhersagen kann, bei dem wir suchende Personen zuverlässig ihrem Wohnkanton zuordnen können.

                                                                                                                                Nach oben

6. Erklärung des Anstiegs der Arbeitslosigkeit
Arbeitslosigkeit spielt bislang eine eher untergeordnete Rolle in der Reaktion des Arbeitsmarkts auf die Corona-Krise (Abbildung 1). Zwar ist im April 2020 die Anzahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 46'115 Personen erheblich gestiegen. Jedoch ist dies ein verhältnismässig geringer Anstieg im Vergleich zu dem in der Kurzarbeit mit über 1.9 Mio. genehmigten Anträgen auf Kurzarbeitsentschädigung. Dennoch überprüfen wir in diesem Teil den Erklärgehalt des Lockdown-Index für den Anstieg der Arbeitslosigkeit seit Beginn der Corona-Krise.

Abbildung 19 zeigt den Zusammenhang zwischen Lockdown-Index und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit nach Kanton. Es liegt eine deutliche, positive Korrelation vor. Der Lockdown-Index ist in der Lage, etwa 20% der Variation des Arbeitslosenanstiegs im April 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat zu erklären. Den geringsten Erklärgehalt hat der Lockdown-Index für den Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Kantonen Nidwalden, Appenzell Innerrhoden sowie Graubünden. 

Abbildung 19: Korrelation zwischen Lockdown-Index und Anstieg der Arbeitslosigkeit nach Kanton

Abbildung 20 zeigt den Zusammenhang zwischen dem Lockdown-Index und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit nach Branche. Auch hier zeigt sich eine starke positive Korrelation. Der Lockdown-Index alleine erklärt etwa 47% der gesamten Variation im Arbeitslosenanstieg über diese 34 Branchen. 

Abbildung 20: Korrelation zwischen Lockdown-Index und Anstieg der Arbeitslosigkeit nach Branche

7. Home-Office-Index nach Kantonen und Branchen

Mit einer alternativen Methodik – dem sogenannten Home-Office-Index – haben US-Ökonomen in einer Studie (Dingel und Neiman, 2020) versucht zu messen, wie sich die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Massnahmen nach Region und Branche unterscheiden. Im Unterschied zu unserem Lockdown-Index misst dieser Home-Office-Index, ob ein Beruf von zuhause ausgeführt werden kann oder nicht. Ausserdem berücksichtigt dieser Index nicht, dass einige essenzielle Branchen von den Massnahmen des Bundes ausgenommen sind. Wir halten dies nur für bedingt informativ, da die Massnahmen des Bundes in erster Linie darauf abzielen, den physischen Kontakt von Menschen zu vermeiden, nicht die Menschen zuhause bleiben zu lassen. So ist es beispielsweise für Landwirt*innen oder Lastwagenfahrer*innen grundsätzlich möglich, ihren Beruf unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln auszuführen, auch wenn diese Berufsgruppen nicht im Home-Office arbeiten können. Zur Vergleichbarkeit zeigen wir im Folgenden die Unterschiede im Home-Office-Index nach Kanton und Branche. Die jeweiligen Werte entsprechen dem Anteil der Erwerbstätigen, die ihren Beruf im Home-Office ausüben können. Ein hoher Wert impliziert hier, im Gegensatz zum Lockdown-Index, also eine geringe Betroffenheit.

Abbildung 23: Home-Office-Index nach Kanton

Abbildung 24: Home-Office-Index nach Branche

Daten (csv)                                                                                                             Nach oben

8. Ausblick
Wir sehen diese Analyse als einen ersten Vorstoss, mehr Transparenz darüber zu schaffen, welche Regionen, Branchen und Bevölkerungsgruppen der Schweiz aufgrund ihrer Erwerbsstruktur besonders von den einschneidenden Massnahmen des Bundes betroffen sein werden. Dafür haben wir uns zunächst darauf fokussiert, ob Menschen in der aktuellen Situation weiterhin ihren Beruf ausführen können oder nicht. Dies scheint bereits ein guter Gradmesser für den kurzfristigen Rückgang der Erwerbstätigkeit nach Branche zu sein und nur bedingt den Anstieg der Kurzarbeit nach Kanton zu erklären. Allerdings wird sich dies noch besser überprüfen lassen, sobald die tatsächlichen Kurzarbeitsentschädigungen nach Kanton abgerechnet worden sind.

Das Ausmass der Effekte in der längeren Frist hängt auch von anderen Faktoren ab, die hier nicht berücksichtigt sind. So ist es beispielsweise entscheidend, welchen Branchen der Bund staatliche Unterstützung in Form von Überbrückungskrediten gewährt, wie hoch diese verhältnismässig ausfallen und wie die Rückzahlungsmodalitäten aussehen werden. Zudem wird sich zeigen, wie stark Lockdowns in anderen Ländern globale Wertschöpfungsketten in Mitleidenschaft ziehen und in welchem Ausmass verschiedenen Branchen möglich ist, verloren gegangene Nachfrage nach der Krise wieder aufzuholen. Wir arbeiten daran, diese Dimensionen näher zu ergründen.

Wir erachten diesen Index als geeignet, um politische Entscheidungen zur gezielten Dämpfung der unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns zu informieren. Insbesondere zeigt unsere Analyse auf, welche Bereiche der Schweizer Gesellschaft besonders stark betroffen sind – unabhängig von individuellen Entscheidungen vor und während der Krise, sondern allein aufgrund der inhärent verschiedenen Anforderungsprofile einzelner Berufe und der Sonderregelungen für einzelne Branchen.

                                                                                                                                Nach oben


9. Methodik
Die Massnahmen des Bundes zielen primär darauf ab, den physischen Kontakt zwischen Menschen zu reduzieren. Entscheidender als die Frage, ob ein Beruf von zuhause aus ausgeführt werden kann, scheint uns deshalb, ob er in unmittelbarer Nähe zu anderen Menschen ausgeführt werden muss. Beispielsweise können Landwirt*innen, Lastwagenfahrer*innen, Bauarbeiter*innen oder Essenslieferant*innen ihren Beruf nicht im Home-Office durchführen; trotzdem waren sie während der letzten Wochen nur wenig in ihrer Arbeit eingeschränkt.

Um die konkreten Massnahmen der Schweiz (und vieler anderer Länder) besser einzufangen, haben wir deshalb einen einfachen «Lockdown-Index» gebildet, der einen Beruf als «vom Lockdown eingeschränkt» klassifiziert, wenn er eine geringe physische Distanz zu anderen Menschen mit sich bringt (d.h., direkter Körperkontakt bis hin zu einem geteilten Büro) und als «nicht vom Lockdown eingeschränkt», wenn er weniger engen Kontakt erfordert. Im Unterschied zum Home-Office-Index gelten hier zum Beispiel Lastwagenfahrer, Landwirte oder Reinigungskräfte als nicht eingeschränkt.

Für unsere Analyse verwenden wir detaillierte Informationen über Beruf, Wohnort und Arbeitsmarktstatus von knapp 70’000 SchweizerInnen. Die Daten stammen aus der Schweizer Arbeitskräfteerhebung (SAKE) für das Jahr 2018, einer vom Bundesamt für Statistik durchgeführten repräsentativen Stichprobe der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz. Aus diesem Grund können wir in dieser Analyse keine Grenzgänger berücksichtigen, die eine andere berufliche Spezialisierung als die ständige Wohnbevölkerung haben mögen.

Den Beruf eines Individuums verknüpfen wir mit Daten über die konkreten Anforderungen, die jeder dieser fast 1‘000 Berufe mit sich bringt. Diese stammen aus dem Occupational Information Network (O*NET) des US-amerikanischen Department of Labor. Sie beinhalten auch die Information über «Physical Proximity», d.h., welche Nähe zu anderen Menschen die Ausübung des Berufs erfordert. Die Kategorien für diese Dimension rangieren von «Ich arbeite nicht in der Nähe anderer Menschen (mehr als 30 Meter entfernt)» bis hin zu «Sehr nah (beinahe mit Berührung)». Wir klassifizieren alle Berufe mit einem Wert zwischen «Sehr nah (beinahe mit Berührung)» und «Relativ nah (auf Armeslänge)» als «eingeschränkt» (=1) und solche zwischen «Nur wenig nah (z.B. geteiltes Büro)» und «Relativ nah (auf Armeslänge)» als «teilweise eingeschränkt» (=0.5). Alle anderen Berufe klassifizieren wir als «nicht eingeschränkt» (=0) Ausserdem berücksichtigen wir, dass die Massnahmen des Bundes eine Ausnahme für essenzielle Sektoren wie Gesundheit, öffentliche Sicherheit und Verkehr sowie Lebensmittelversorgung vorsehen. Erwerbstätige Personen in diesen Sektoren klassifizieren wir als «nicht eingeschränkt» (=0), unabhängig von deren Berufsklassifizierung.

Bei der Analyse zur Vorhersagekraft des Lockdown-Index für kantonale Anstiege in Kurzarbeitsanträge kreieren wir einen alternativen Lockdown-Index für die gesamte arbeitende Bevölkerung (anstatt nur für die ständige Wohnbevölkerung). Dafür verwenden wir Informationen über die Anzahl Grenzgänger nach Branche und Kanton. Dazu weisen wir im ersten Schritt jedem Grenzgänger den durchschnittlichen Lockdown-Index der jeweiligen Branche zu. Im zweiten Schritt berechnen wir den gewichteten Durchschnitt für den Lockdown-Index für Grenzgänger pro Kanton. Zuletzt verbinden wir dies mit dem Lockdown-Index für die ständige Wohnbevölkerung und bilden den nach Anzahl Personen gewichteten Durchschnitt für den Lockdown-Index pro Kanton.

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