FV-31 | Beeinflussen Qualitätsinformation die Wahl des Spitals?
<link de fakultaet professuren felder-stefan-health-economics prof-dr-stefan-felder external-link-new-window internal link in current>Prof. Dr. Stefan Felder, Timo Tondelli
Health Economics
Ausgangspunkt und Ziel des Projekts:
Die Ausgangsfrage des Projekts lautete, inwiefern Qualitätsindikatoren der stationären Behandlung die Spitalwahl der Versicherten und deren Ärzte beeinflussen. Diese Frage interessierte im Licht der tiefgreifenden Veränderung bei der Vergütung stationärer Aufenthalte und der freien Spitalwahl, welche durch das neue Gesetz über die Spitalfinanzierung 2012 verursacht wurde.
Im Verlauf des Projekts rückte die Frage nach der Qualität und Effizienz der stationären Versorgung in der Schweiz zunehmend in den Vordergrund. Die Qualität steht aufgrund ihrer direkten Auswirkung auf das Wohlbefinden der Patienten im Zentrum des Interesses. Zudem wurden Befürchtungen über Veränderungen der Versorgungsqualität im Vorfeld der Finanzierungsreform 2012 geäussert. Das vorliegende Projekt soll für den Schweizer Spitalsektor allfällige Qualitätsänderungen empirisch aufzeigen und quantifizieren.
Des Weiteren wurde von der neuen, fallpauschalierten Vergütung eine Effizienzsteigerung der stationären medizinischen Versorgung erwartet. Bei Gesundheitsausgaben von rund einem Zehntel des Bruttoinlandsprodukts – Tendenz steigend – können kleine Änderungen in den Anreizstrukturen mit beträchtlichen Effizienzgewinnen verbunden sein. Das vorliegende Projekt untersucht mit den Abschlägen für Kurzlieger in fallpauschalierten Vergütungssystemen einen in der Literatur bisher wenig aufgegriffenen Teilaspekt der Effizienz. Der empirische untersuchte Zusammenhang der Abschläge und Aufenthaltsdauer soll sowohl die Reaktion der Spitäler aufzeigen, als auch eine Hilfestellung bei der normativen Gestaltung der Vergütung bieten.
Realisierte Schritte:
Die neue Spitalfinanzierung 2012 hat nicht nur eine fallpauschalierte Vergütung stationärer Leistungen gebracht, sondern auch die kantonalen Spitalmärkte geöffnet. Patienten der Grundversicherung können sich seither ohne Aufpreis auch ausserhalb ihres Wohnkantons stationär behandeln lassen. Dies führte zu einer Intensivierung des Wettbewerbs zwischen den Spitälern.
Die Einführung der DRG-Vergütung löste Befürchtungen aus, dass der damit einhergehende zusätzliche Kostendruck die stationäre Behandlungsqualität beeinträchtigen könnte. Von einem schlechteren Gesundheitszustand der Patienten bei Spitalentlassung war die Rede. Eine mögliche Konsequenz einer verminderten Versorgungsqualität im stationären Bereich ist ein erhöhter Bedarf an Reha Massnahmen. Das Projektteam konnte in einer publizierten Untersuchung jedoch keinen Einfluss der neuen Spitalfinanzierung auf die Rehabilitations-Häufigkeit und sogar eine leicht kürzere Reha Aufenthaltsdauer feststellen.
Darüber hinaus wurde der Zusammenhang zwischen Vergütungssystem und Qualität anhand der Krankenhausmortalität untersucht. Basierend auf der umfassenden Medizinischen Statistik der Krankenhäuser des Bundesamtes für Statistik wurden 13 häufige stationäre Indikationen ausgewählt und ein Mortalitätsindikator berechnet. Daten von 2010 bis 2012 schliessen die Jahre vor und nach Einführung der neuen Spitalvergütung ein. Da eine DRG-Vergütung in einigen Kantonen bereits vor 2012 eingesetzt wurde, bot sich methodisch ein Differenz-von-Differenzen Ansatz an, um den Einfluss der stationären Vergütung auf die Behandlungsqualität ökonometrisch zu schätzen. Dieser Ansatz erlaubt es zusätzlich, die Schätzresultate um nicht-beobachtbare Faktoren zu korrigieren. Er wird deshalb in der Literatur als Quasi-Experiment bezeichnet. Zudem wurden verschiedene Patienten- und spitalbezogene Kontrollvariablen zur Risikoadjustierung der Mortalität herangezogen. Es wurde sowohl der Effekt über alle Indikationen, als auch für die einzelnen Indikationen geschätzt. Die Ergebnisse zeigen keinen Einfluss der DRG-Vergütung auf die risikoadjustierte Mortalität. Somit ist dieser Aspekt der stationären Behandlungsqualität unabhängig vom DRG-System, was für die Schweiz zum ersten Mal gezeigt wurde. Vorangegangene Studien aus Nordamerika und Europa berichten über ähnliche Resultate und kommen mehrheitlich zum gleichen Schluss.
Neben der Qualität stellen die Abschläge für Kurzlieger eine bisher nicht untersuchte Komponente der 2012 landesweit eingeführten Fallpauschalen dar. Ist ein stationärer Aufenthalt kürzer als eine festgelegte untere Grenzverweildauer, kommt auf die normale spezifische Pauschale ein Abschlag zur Anwendung. Falls die Behandlungskosten für einen zusätzlichen Spitaltag kleiner als der Kurzliegerabschlag sind, lohnt sich für das Spital die Entlassung des Patienten aufzuschieben. Dieser finanzielle Anreiz müsste sich in der Verteilung der Liegedauer niederschlagen: Austritte am Tag der unteren Grenzverweildauer sollten steigen und kürzere Aufenthalte zurückgehen. Der Zusammenhang zwischen Kurzliegerabschlag und Aufenthaltsdauer wird auch von krankheits-, patienten- und krankenhausspezifischen Faktoren beeinflusst. In einem verhaltenstheoretischen Model der Liegedauer werden daher der Patientennutzen und finanzielle Restriktionen der Leistungserbringer berücksichtigt, um realistischere Vorhersagen zu erhalten. Dies erlaubt es, Hypothesen über den Einfluss des Kurzliegerabschlags empirisch zu prüfen: Gewisse DRGs sind davon stärker betroffen als andere. Auch sollte die Höhe des Abschlags für Kurzlieger im Verhältnis zur Vergütungshöhe vor 2012 mit der Stärke der Reaktion korrelieren.
Auf der Grundlage der Medizinischen Statistik der Krankenhäuser des Bundesamtes für Statistik für die Jahre 2010 bis 2012 wird ein gesamthafter und ein DRG spezifischer Effekt der Kurzliegervergütung bereinigt um potentielle Störfaktoren geschätzt. Die Resultate zeigen einen Anstieg der Austritte am ersten Tag, an welchem kein Kurzliegerabschlag erfolgt, während längere Aufenthalte zurückgehen. Dies trifft sowohl über alle DRGs gemittelt als auch für einzelne Fallgruppen zu. Im Gegensatz dazu verändert sich die Zahl der Kurzlieger gesamthaft gesehen nicht. Wenn allerdings die Fälle separat pro DRG betrachtet werden, lassen sich sowohl Anstiege wie Reduktionen der Kurzlieger feststellen, wobei sich das jeweilige Ausmass stark nach DRG unterscheidet. Dieses Ergebnis ist nicht unerwartet, da die finanziellen Anreize und medizinischen Restriktionen ebenfalls stark nach DRG variieren. Die aus der Untersuchung gewonnen Erkenntnisse sollten in die Gestaltung und Optimierung der Kurzliegervergütung eingehen, um Kosten zu sparen und Fehlanreize zu korrigieren.
Publikationen:
- Felder Stefan, Kägi Wolfram, Lobsiger Michael, Tondelli Timo (2014): Auswirkungen von SwissDRG auf die ambulante Versorgung, Schweizerische Ärztezeitung, 95(39): 1443-1444.
- Tondelli Timo, Prospective Reimbursement and its Effect on Quality of Care - A Quasi-Experiment, mimeo, WWZ.
- Tondelli Timo, Does Low Outlier Reimbursement Influence Discharge Decision-Making under Prospective Hospital Payment?, mimeo, WWZ
Präsentationen und Konferenzen:
- Vortrag Swiss Health Economics Workshop, Luzern, 11 Sept. 2014,
- Pressekonferenz Begleitstudie SwissDRG von FMH und H+, Bern, 22. Sept. 2014
- Seminar Bundesamt für Statistik, BFS Neuenburg, 25 Nov. 2014
- Doktorandenseminar WWZ, Universität Basel, 17 Dez. 2014