FV-87 | Gesundheitskosten: Prognose nach Komponenten und Kantone

Prof. S. Felder

Health Economics

 

Forschungsgegenstand
Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) erstellt jährlich eine Prognose des Kostenwachstums im OKP-Bereich (Obligatorische Krankenpflegeversicherung). Die KOF stützt sich bei der Prognose im Wesentlichen auf Daten des Datenpools, die durch die SASIS AG erhoben werden. Diese Daten setzen sich aus Abrechnungsdaten der Leistungserbringer zusammen, die über die Obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) abgerechnet werden. Die Kostendaten sind nach neun Komponenten (Apotheken, Arztleistungen, Pflege, Labors, Medikamentenabgabe Arzt, Spital Ambulant, Spital stationär und Spitex) aufgeschlüsselt. Die KOF prognostiziert das Kostenwachstum in diesen Komponenten, jeweils aggregiert für die ganze Schweiz und für die künftigen zwei Jahre. Für die kantonalen Prognosen verwendet die KOF ein über die Kantone „gepooltes“ Modell, das zu beinahe identischen Kostenprognosen und Prognoseintervallen für alle Kantone führt. Die Schätzungen auf Kantonsebene weisen relativ grosse Prognoseintervalle auf, die den negativen Bereich einschliessen. Grund hierfür ist, dass die KOF nur auf Jahresdaten der Periode 2003-2018 zurückgreifen kann. SASIS AG hat jedoch Quartalsdaten und teilweise Monatsdaten, die bis 1997 zurückgehen, auf deren Grundlage die Prognose verbessert werden könnte.

 

Problemstellung
Der Bundesrat hat im Rahmen seines Massnahmenpakets 2 zur Kostendämpfung in der OKP im August 2020 folgende Gesetzesänderung in die Vernehmlassung geschickt:

Art. 54 Kostenziele 

1)  Der Bundesrat legt fest, um welchen Prozentsatz die Kosten der Leistungen  nach diesem Gesetz im Vergleich zum Vorjahr höchstens ansteigen dürfen (Kostenziele):
a. für die gesamten Leistungen in der Schweiz;
b. für die einzelnen Kostenblöcke (Art. 54a) in der Schweiz.

2) Gestützt auf die Kostenziele nach Absatz 1 legt er fest: 
a. das Kostenziel für jeden Kanton für die gesamten Leistungen; 
b. eine für alle Kantone einheitliche Toleranzmarge, um die diese von den Kostenzielen nach Buchstabe a abweichen können. 

Durch die grössere Anzahl an Beobachtungen sollte es möglich werden, potentielle Zusammenhänge zwischen den einzelnen Kostenkomponenten und Kantonen zu berücksichtigen. Insbesondere ist davon auszugehen, dass das Kostenwachstum im stationären Bereich nicht unabhängig von dem im ambulanten Bereich erfolgt und dass Kostensteigerungen in einem Kanton nicht unabhängig von jenen in anderen Kantonen sind. Beide Zusammenhänge sollten nach Möglichkeit berücksichtigt werden und können die Prognosegüte verbessern. Eine weitere Möglichkeit, die Prognosegenauigkeit des Modells zu erhöhen, ist die Berücksichtigung von erklärenden Variablen, die über die Kostenzeitreihen an sich hinausgehen. In Frage kämen hier die Mortalitätsraten, die Netto-Zuwanderung von Personen, der Export oder Import von Patienten, die Anzahl stationärer Betten oder auch die Faktorpreise im Gesundheitssektor. 


Zielsetzung 
Wenn die Datenpool-Daten auch als Quartals- oder gar Monatsdaten bezogen werden, ergibt sich die Möglichkeit, eine Vorhersage möglichst nah am aktuellen Rand der Daten vorzunehmen. Dies ist ein grosser Vorteil gegenüber anderen statistischen Datensätzen (z.B. die Medizinische Statistik der Krankenhäuser), die erst mit einem grösseren zeitlichen Verzug vorliegen. 
Unsere Idee ist es, das bisher verwendete Modell in drei Dimensionen zu erweitern:- Durch das Hinzuziehen der Datenpool-Daten als Monatsdaten- Durch die Abbildung von Zusammenhängen zwischen Kantonen und Kostenkomponenten- Durch das Heranziehen weiterer Regressoren
Die Hauptlimitation der bisher verwendeten Vorhersage ist die sehr begrenzte Anzahl an Beobachtungen über die Zeit. Erste Abklärungen haben ergeben, dass die Daten des Datenpools auch zurück bis ins Jahr 1997 und auf monatlicher Ebene verfügbar wären. Ziel ist es daher, die Prognosegüte durch eine grössere Anzahl Beobachtungen (zusätzliche Jahre und Monatsdaten) zu verbessern. 

Als Modellrahmen verwenden wir ein Vektor-auto-regressives-Modell (VAR), welches eine Verallgemeinerung des ARMA-Ansatzes darstellt und sowohl die Abbildung von Wechselwirkungen zwischen einzelnen Kostenkomponenten und Kantonen als auch die Berücksichtigung von weiteren Regressoren ermöglicht.
Bedeutung und NutzenDie Vorschläge des Bundesrates werden als Gegenvorschlag zur Kostendämpfungsinitiative der CVP verstanden, die im März 2020 eingereicht wurde, und das Kostenwachstum im Gesundheitsbereich an das Lohnwachstum knüpfen will. Das beantragte Projekt ist methodisch interessant und politisch relevant.