FV-69 | Auswirkungen der Digitalisierung auf die Verwendung von Leistungslöhnen in Unternehmen
Prof. Dr. Michael Beckmann, Elisa Gerten
Personal und Organisation
Forschungsfrage
In jüngster Vergangenheit haben grosse Unternehmen begonnen, ihr System der Leistungsentlohnung zu ändern (z. B. Bâloise, Bosch). Die individuelle Leistungsentlohnung wird zurückgeführt, während die Zahlung von Fixlöhnen, die durch eine variable Entlohnung auf Gruppen-, Abteilungs- oder Unternehmensebene ergänzt werden, an Bedeutung gewinnen.
Ein Grund für diese Umstellung könnte in einer geänderten Arbeitsnachfrage liegen, welche sich durch den Einsatz digitaler Technologien ergibt. In diesem Zusammenhang wird auch von einem Routine-Biased Technological Change gesprochen, der Routinetätigkeiten auf mittlerem Qualifikationsniveau substituiert und sich komplementär zu kognitiven Nicht-Routinetätigkeiten verhält. Komplexe Nicht-Routinetätigkeiten erfordern mehr Zusammenarbeit zwischen Organisationsmitgliedern, Teamarbeit (teilautonome Teamarbeit, abteilungsübergreifende Gruppenarbeit, virtuelle Teams, usw.) und interdependente Arbeitsaufgaben, bei denen die ordnungsgemässe Erfüllung der eigenen Aufgabe von der Leistung anderer Organisationsmitglieder abhängt. Um die innerbetriebliche Zusammenarbeit und Kooperation zu fördern, sollten Organisationen Leistungslöhne mit an das Kollektiv gerichteten Prämien-bemessungsgrundlagen einsetzen (z. B. Gruppenprämien, Gewinnbeteiligung).
Hypothese 1: Der Einsatz von digitalen Technologien in Organisationen erfordert Kooperation zwischen Organisationsmitgliedern und somit den Einsatz von gruppenbasierten monetären Anreizen und Gewinnbeteiligung.
Auf der anderen Seite ermöglicht der Einsatz diverser digitaler Technologien in Unternehmen eine immer detailgetreuere Berichterstattung sowie eine bessere Messung und Dokumentation der Leistung von Mitarbeitern und damit eine Intensivierung des Mitarbeiter-Monitoring. Die genaue Aufzeichnung von Arbeitsinputs und -outputs erlaubt eine individuelle Leistungsdifferenzierung, selbst zwischen Mitarbeitern, die miteinander kooperieren sollen, sodass Belohnungen individuell verteilt werden können. Demnach bestehen effektive Anreizsysteme aus einer Kombination aus individuellen Leistungsentlohnungen, HR-Analytik und IT. Individuelle Leistungsvergütungen, die Kontrolle von Arbeitsprozessen und IT sind also untrennbar miteinander verbunden.
Hypothese 2: Der Einsatz von digitalen Technologien in Organisationen erleichtert die genaue Kontrolle von Arbeitsprozessen und somit den Einsatz von individuellen Leistungsentlohnungen.
Ziele des Projektes
Ziel dieses Forschungsprojektes ist es, empirisch zu untersuchen, ob der Einsatz digitaler Technologien in Organisationen die Akzeptanz individueller oder kollektiver Leistungsentlohnung erhöht. Wenn die Akzeptanz von kollektiven Leistungslöhnen zunimmt, erregt der Bedarf an Zusammenarbeit und Kooperation in Organisationen grosse Aufmerksamkeit, um intern komplexe nicht-routinemässige Aufgaben in einem digitalen Wettbewerbsumfeld zu bewältigen. Wenn die Akzeptanz des individuellen Leistungslohns zunimmt, konzentrieren sich Unternehmen mehr auf eine genaue und intensive Messung der Leistung und der Arbeitsqualität der Mitarbeiter, um die laufenden digitalen Herausforderungen zu bewältigen.
Diese Zusammenhänge sollen mithilfe einer quantitativ-empirischen Untersuchung überprüft werden. Zu diesem Zweck sollen Umfragedaten des Linked Personnel Panel (LPP) mithilfe geeigneter statistisch-ökonometrischer Methoden ausgewertet werden. Für die vorliegende Fragestellung sollen die Betriebsdaten des LPP zur Anwendung kommen. Die empirischen Ergebnisse dieses Projekts sollen auch Implikationen für das Management liefern.
Lässt sich tatsächlich ein positiver Zusammenhang zwischen dem Einsatz digitaler Technologien und einer Umstellung des Lohnsystems zugunsten einer Leistungsentlohnung mit globalen Prämienbemessungsgrundlagen feststellen, kann den Unternehmen empfohlen werden, die Nutzung digitaler Technologien mit einem Wechsel von individuellen auf kollektive Leistungslöhne zu begleiten. Damit könnten nicht nur die notwenigen Kooperationsanreize für die Mitarbeitenden gesetzt, sondern auch ein umfassender Wandel der Organisationskultur eingeleitet werden. Lässt sich hingegen ein positiver Zusammenhang zwischen dem Einsatz digitaler Technologien und einer Umstellung des Lohnsystems zugunsten einer individuellen Leistungsentlohnung feststellen, kann den Unternehmen empfohlen werden, die Kontrollprozesse effizient, sicher und transparent zu gestalten, um anschliessend faire individuelle Leistungslöhne auszahlen zu können. In näheren Untersuchungen soll zudem festgestellt werden, für welche Organisationen diese Zusammenhänge zutreffen. Hierbei wird nach Branche, Firmengrösse und Führungsstrategie der Firmen unterschieden.
Realisierte Schritte
Das Projekt hat Anfang 2019 mit der Literaturrecherche und der Aufbereitung des Datensatzes begonnen. Die Relevanz der Thematik konnte mit der bisherigen Erhebung des Forschungsstands erneut bestätigt werden. Die vorliegenden theoretischen und empirischen Forschungsbeiträge liefern sowohl Ergebnisse zu dem Einfluss von Kontrolle auf Leistungsentlohnung, als auch zu dem Einfluss von Teamarbeit und Kooperation auf Leistungsentlohnung. Der Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Leistungsentlohnung, geführt durch eine zunehmende Kooperation oder Kontrolle, wird in bestehenden Forschungsarbeiten nur sehr vereinzelt aufgegriffen.
Ökonometrische Schätzungen mittels eines Fixed-Effects Modells wurden mit der 2. und 3. Befragungswelle aus dem oben genannten Datensatz durchgeführt. Kontrollvariablen wurden sowohl aus dem LPP als auch aus dem IAB Establishment Panel gezogen und beziehen sich auf Firmencharakteristika, Region des Standortes, Unternehmensstrategie, etc. Die Information zur Nutzung digitaler Tools am Arbeitsplatz bezieht sich auf die Frage aus dem LPP “What percentage of employees has your establishment/office equipped with mobile devices such as smart phones, tablet computers or notebooks capable of establishing an Internet connection via the mobile network?”. Die Information zu den Leistungslöhnen ist schliesslich aus der Frage “What is the percentage of the criteria such as business success, success of the organizational unit, that of the team or the workgroup respectively, as well as personal achievements in the variable remuneration?” ableitbar.
Unterschieden wurde zudem zwischen Mitarbeitern mit und ohne Führungsverantwortung. Dies ist durch die unterschiedliche Verbreitung digitaler Tools am Arbeitsplatz zwischen diesen beiden Gruppen begründet (d.h. unter Führungskräften sind digitale Tools am Arbeitsplatz stärker verbreitet als unter Nicht-Führungskräften). Zudem werden nach der deskriptiven Statistik für beide Gruppen unterschiedliche Leistungsentlohnungssysteme angesetzt (d.h. für Nicht-Führungskräfte gilt primär der Einsatz von individuellen Leistungsentlohnungen, für Führungskräfte der Einsatz von gruppenbasierten monetären Anreizen und Gewinnbeteiligung).
Die derzeitigen Ergebnisse zeigen auf, dass je nach Bezugsgruppe (Führungs- und Nicht-Führungskräfte) unterschiedliche Entlohnungsansätze vermehrt zum Einsatz kommen. Für Führungskräfte ist die Tendenz zu einem vermehrten Einsatz einer individuellen Entlohnung positiv steigend. Dies würde bedeuten, dass für diese Gruppe der Ansatz einer steigenden Kontrolle im Verlauf digitaler Transformationsprozesse angewendet wird. Für Nicht-Führungskräfte setzt sich vermehrt der Einsatz von gruppenbasierten monetären Anreizen und Gewinnbeteiligung durch, so dass für diese Gruppe der Ansatz einer steigenden notwendigen Kooperation durch die Digitalisierung an Bedeutung zunimmt.
Noch zu realisierende Schritte
Die Durchführung der ökonometrischen Schätzungen ist bereits weit fortgeschritten. Die Hinzunahme der 4. Welle des LPP ermöglicht ab dem Jahr 2020 methodische Verfeinerungen und die Anwendung zusätzlicher empirischer Methoden. So können den Schätzungen des Fixed-Effects Modells nun die Schätzungen eines Lagged Dependent Variable Modells gegenübergestellt werden. Auf diese Weise lässt sich ein kausaler Effekt ermitteln; gegeben, dass der Daten generierende Prozess einem der beiden Modelle folgt. Der nächste Forschungsaufenthalt am IAB in Nürnberg wird im Frühjahr 2020 stattfinden.
Nach Abschluss dieser Datenanalyse wird ein Forschungsbericht in Form eines Working Papers verfasst.
Publikationen oder Konferenzbeiträge
Das Forschungsprojekt wurde während der Delegationssitzung am 24. September 2019 vorgetragen. Die Einreichung des Projektes als Konferenzbeitrag steht noch aus und wird erst nach der Hinzunahme der 4. Welle des LPP-Datensatzes erfolgen. Die Einreichung eines Forschungsartikels bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift ist im Sommer 2020 geplant.
Abschluss des Projekts
Das Projekt wird Anfang 2020 abgeschlossen werden. Im Anschluss finden bis zur Publikation reine Anpassungen oder Verfeinerungen statt.