Die Effizienz der öffentlichen Hand: Drei empirische Beiträge über die Verwendung der schweizerischen Staatsausgaben

Simon Hofmänner

 

"Big Government, big bill"

The Economist, 18. September 1997

Die schweizerischen öffentlichen Leistungen sind seit einigen Jahren starker Kritik ausgesetzt - dies wird insbesondere durch zwei Tatsachen ausgelöst: Erstens befinden sich die öffentlichen Finanzen der Schweiz in einem sehr schlechten Zustand. So hat sich die Verschuldung der öffentlichen Hand von 1990 bis 2004 von 98 Mrd. CHF auf fast 250 Mrd. CHF erhöht. Zudem ist die Schweizer Staatsquote über den gleichen Zeitraum deutlich gestiegen, während die Staatsquoten der meisten anderen Industriestaaten stabilisiert oder gar gesenkt werden konnten. Zweitens ist das Wirtschaftswachstum der Schweiz über den gleichen Zeitraum deutlich unter demjenigen der OECD-Länder ausgefallen. Vermehrt wird nun auf einen Zusammenhang zwischen hohen Staatsausgaben und schwachem Wirtschaftswachstum hingewiesen.

Während viele Leistungen bis zu einer bestimmten Ausgabenhöhe am effizientesten durch den Staat bereitgestellt werden können, sind gleichzeitig Anzeichen vorhanden, dass die schweizerische öffentliche Hand heute Ausgaben in einer Höhe tätigt, die negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum hat. So übernimmt der Staat heute Bereiche, welche von der Privatwirtschaft effizienter produziert werden könnten. Zudem bestehen auch bei den reinen öffentlichen Gütern Indizien für einen ineffizienten Mitteleinsatz. Eine optimale Allokation und Verwendung der knappen und alternativ verwendbaren Ressourcen ist nicht mehr gewährleistet. Viele Mängel sind bereits erkannt, doch die notwendigen rigorosen Reformen zeichnen sich im derzeitigen politischen Klima nicht ab.

Diese Dissertation steuert drei Beiträge zur aktuellen Diskussion über die Verwendung der schweizerischen öffentlichen Mittel bei: In einem Top-down-Ansatz werden in drei voneinander unabhängigen Arbeitspapieren die öffentlichen Leistungen der Schweiz untersucht. Die erste Arbeit unterzieht verschiedene Bereiche der gesamten öffentlichen Ausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden einem internationalen Vergleich. Es wird dabei analysiert, ob die Schweiz in diesen Ausgabenbereichen mit ihren Mitteln grosszügiger umgeht als die Vergleichsländer. Zudem werden die Landwirtschaft und die Netzwerksektoren im internationalen Preisvergleich betrachtet, um darzustellen, dass in der Schweiz Ineffizienzen durch eine zu starke staatliche Regulierung entstanden sind. Der zweite Teil dieser Dissertation untersucht die grössten Ausgabenbereiche der Kantone und Gemeinden in einem interkantonalen Vergleich. Hier wird für jeden Kanton ermittelt, ob in einem bestimmten Bereich über- oder unterdurchschnittlich effizient gearbeitet wird. In diesen ersten beiden Arbeiten wird dabei nur theoretisch auf die Ursachen des ineffizienten staatlichen Handelns eingegangen. Der Fokus liegt auf der Identifikation und Messung des Ausmasses der Ineffizienz. Die dritte Arbeit hingegen analysiert zwei Ausgabenbereiche - die Invalidenversicherung und die Sozialhilfe - genauer und untersucht empirisch mögliche Ursachen von Ineffizienz in diesen Bereichen.

Im Folgenden werden die Inhalte der drei Studien und die wichtigsten Schlussfolgerungen vorgestellt: Die erste in dieser Dissertation vorgelegte Studie mit dem Titel, "Die schweizerischen öffentlichen Ausgaben im internationalen Vergleich", vergleicht die Ausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden für Gesundheit, Soziale Wohlfahrt und Bildung mit anderen entwickelten Ländern. Zudem werden als Exkurse die Netzwerksektoren Eisenbahn, Elektrizität, Post und Telekommunikation einem internationalen einfachen Preisvergleich unterzogen. Ebenfalls wird die Protektion der Landwirtschaft durch den Staat untersucht.

In einem ersten Schritt wird der wirtschaftstheoretische Hintergrund von öffentlichen Leistungen dargestellt, um die Gründe für und wider staatliches Handeln darzulegen. Weiter werden mögliche Ursachen für eine ineffiziente Mittelverwendung der öffentlichen Hand besprochen und die wirtschaftswissenschaftlichen Theorien für steigende Staatsquoten erläutert.

Ein internationaler Vergleich der Entwicklung der Staatsquoten macht deutlich, dass die öffentliche Hand der Schweiz insbesondere in den 90er Jahren eine Ausnahme darstellt. Während die meisten entwickelten Länder ihre Staatsquoten senken konnten, stiegen die Staatsausgaben in der Schweiz während dieser Zeit weiter an. Im empirischen Teil werden die Ausgabenbereiche Soziale Wohlfahrt, Gesundheit und Bildung einem einfachen internationalen Vergleich unterzogen. Dabei wird in einer Input-Output-Analyse untersucht, ob die Schweiz relativ zu anderen entwickelten Ländern über- oder unterdurchschnittlich grosszügig mit ihren Mitteln umgeht. Die Studie kommt zum Schluss, dass die Schweiz insbesondere im Bereich Soziale Wohlfahrt im internationalen Vergleich sehr grosszügig ist und dass die Landwirtschaft von einer übermässigen Protektion durch den Staat profitiert. Diese Protektion führt zu überhöhten Preisen in der Schweiz und damit zu einer gesamtwirtschaftlich ineffizienten Lösung.

Die zweite Arbeit "Eine Untersuchung der Effizienz öffentlicher Leistungen der Schweizer Kantone und Gemeinden" unterzieht die wichtigsten Ausgabenbereiche der Kantone und Gemeinden einem interkantonalen Vergleich. Da die Datenlage auf Kantonsebene besser ist, kann hier eine exaktere, aussagekräftigere Untersuchung als in der ersten Arbeit durchgeführt werden.

Aufgrund der schlechten Entwicklung der öffentlichen Finanzen der Kantone und Gemeinden führen fast alle Kantone Reformen durch, um die Effizienz der öffentlichen Hand zu steigern. Das wichtigste Reforminstrument ist dabei das New Public Management. Zentraler Bestandteil dieses Konzepts ist Benchmarking, "um von den Besten zu lernen". Auf Kantonsebene sind jedoch nach Kenntnis des Autors bisher keine Benchmarkings durchgeführt worden. Die Resultate dieser Arbeit können deshalb als ersten Schritt in diese Richtung genutzt werden. Zudem kann für jeden Kanton festgestellt werden, in welchen Bereichen die grössten Effizienzverbesserungen möglich sind.

Der Analyseteil untersucht die Ausgabenbereiche Gesundheit, Soziale Wohlfahrt, Bildung, Verkehr, Öffentliche Sicherheit und Kultur. Die Höhe der Pro-Kopf-Ausgaben unterscheidet sich zwischen den Kantonen deutlich. Es gibt jedoch kantonale Charakteristika, die unterschiedliche Ausgaben rechtfertigen, da sie "extern" gegeben sind und von den Kantonen nicht oder nur begrenzt beeinflusst werden können. In dieser Arbeit werden deshalb die Ausgaben um externe Faktoren bereinigt, um in einem nächsten Schritt korrigierte Werte miteinander zu vergleichen. Die Ausgaben werden dann mit einem "erwarteten" Wert verglichen, um zu sehen, ob der Kanton in einem Bereich über- oder unterdurchschnittlich effizient operiert. Weiter wird analysiert, ob ein Ost-West-Gefälle sowie ein Stadt-Land-Gefälle festgestellt werden kann. Beides sind Schlagworte, die zur Erklärung von hohen öffentlichen Ausgaben verwendet werden.

Die Studie kommt zu mehreren Schlussfolgerungen: Erstens ist ein grosser Teil der Ausgabenunterschiede durch kantonale Charakteristika begründet. Zweitens hat jeder Kanton Bereiche, in denen ineffizient gearbeitet wird. Somit sind für jeden Kanton Effizienzverbesserungen möglich - und aufgrund der Finanzlage auch notwendig. Die Resultate weisen darauf hin, dass ein grosses Einsparpotenzial vorhanden ist, welches sich jedoch von Kanton zu Kanton stark unterscheidet. Drittens lässt sich, nachdem die Ausgaben um externe Faktoren korrigiert wurden, weder ein Stadt-Land-, noch ein Ost-West-Gefälle statistisch nachweisen.

Die letzte Studie "Anreize und Wechselwirkungen zwischen der schweizerischen Invalidenversicherung und der Sozialhilfe" untersucht zwei Ausgabenbereiche der öffentlichen Hand genauer: Sowohl die Invalidenversicherung (IV) als auch die Sozialhilfe haben mit stark steigenden Fallzahlen und Kosten zu kämpfen. Als Folge wurde und wird insbesondere die Invalidenversicherung reformiert. In den letzten Jahren wurden Vorwürfe laut, dass diese beiden Institutionen einander gegenseitig Betroffene "zuschieben", um Kosten zu sparen. Die bisherige Forschung hat sich jedoch jeweils nur auf eine Institution beschränkt und somit mögliche Interaktionen ausser Acht gelassen. Diese Arbeit hingegen ermittelt erstens, ob durch unterschiedliche finanzielle Anreize Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Institutionen zu erwarten sind und zweitens, ob diese Wechselwirkungen empirisch festgestellt werden können.

Kurzfristig kommt nur eine bestimmte Bevölkerungsgruppe für beide Institutionen in Frage. Diese kann vereinfacht als die arme Bevölkerungsschicht charakterisiert werden. Aus diesem Grund werden die Ergänzungsleistungen (EL) ebenfalls untersucht. Diese beziehen IV-Rentner, bei denen das minimale Existenzminimum von ihrer Rente nicht gedeckt ist. Gegenstand dieser Studie sind also IV-Rentner, die EL beziehen müssen sowie Sozialhilfebezüger. In einem Vergleich der Leistungen der Sozialhilfe und den EL wird zudem untersucht, welche finanziellen Anreize die Betroffenen besitzen.

Die Untersuchung der Anreize führt zu folgenden Schlussfolgerungen: Für Menschen in finanzieller Not ist die Invalidenversicherung mit Ergänzungsleistungen aus finanzieller Sicht weitaus attraktiver als die Sozialhilfe. Dies könnte ein Grund für die hohen Anmelde- und Ablehnungsquoten der Invalidenversicherung sein. Der Bund hat eindeutige finanzielle Anreize den Zugang zur Invalidenversicherung zu erschweren, während für die Kantone kein Pauschalurteil gefällt werden kann. Für einige Kantone ist eine Abschiebung von Sozialhilfebezügern in die Invalidenversicherung finanziell von Vorteil, für andere nicht. Für den Bund und zumindest einige Kantone bestehen also gegensätzliche Anreize, die zu Wechselwirkungen führen können. Diese können sowohl seitens der Kantone als auch seitens des Bundes entstehen. Insbesondere für den Bund sind die Resultate dieser Studie deutlich: Eine hohe Ablehnungsquote der IV übt einen Einfluss auf die Anzahl Sozialhilfeempfänger aus. Ist die kantonale Ablehnungsquote hoch, so ist auch die Sozialhilfequote im selben Kanton hoch.

Für die Reform der Invalidenversicherung impliziert dies, dass Auswirkungen auf die Sozialhilfe in den Gesetzgebungsprozess einbezogen werden müssen. Wird dies unterlassen, so wird zumindest ein Teil der Fälle auf die Sozialhilfe verlagert. Eine Analyse von zwei grossen Reformprojekten - dem Neuen Finanzausgleich und der 5. IV-Revision - macht deutlich, dass möglichen Wechselwirkungen bei beiden Reformprojekten zu wenig Beachtung geschenkt wird.

Anzahl Seiten | 227
Abteilung/Forschungsstelle | Wirtschaft und Politik
Jahr | 2007
Preis | CHF 35.-
Bezugsquelle | Difo-Druck, Bamberg