Zwei Schweizer Forscher verhelfen Triest zur Einweihung eines neuen Platzes
21. Dezember 2015, Trieste - Piazzetta Vincenzo Bronzin
Im Frühjahr 2009 erschien das Buch zu Vinzenz Bronzin, herausgegeben von Wolfgang Hafner und Heinz Zimmermann, im Springer Verlag.
Am Anfang, etwa im Jahre 2002, steht eine Mail des Wirtschaftshistorikers Wolfgang Hafner an Heinz Zimmermann, Professor an der Uni Basel, mit der Frage, ob er die Schrift „Theorie der Prämiengeschäfte“ von Vinzenz Bronzin aus dem Jahre 1908 kenne. Nie gehört, auch eine Internetrecherche bringt nichts zu Tage. Hafner ist im Rahmen seines SNF-Forschungsprojekts („Im Schatten der Derivate“) auf die Publikation gestossen und schrieb Zimmermann, dass darin sehr viele Formeln zu finden seien und schickt eine Kopie nach Basel. Dort bleibt diese, ohne speziellen Grund, längere Zeit liegen. Was sich dann aber eröffnet, ist schier unglaublich. Die knapp 100-seitige Arbeit enthält eine konsistente mathematische Analyse der Preisbildung von Prämiengeschäften, modern als Optionskontrakte bezeichnet. Weniger als ein Jahrzehnt früher hat der Mathematiker Louis Bachelier in seiner Pariser Dissertation einen Durchbruch bei der Optionsbewertung auf der Basis einer Theorie zeitstetiger stochastischer Prozesse erzielt. Die Arbeit blieb bin in die fünfziger Jahre unbeachtet. Bronzin – in Ermangelung irgendwelcher Referenzen offenbar ungewahr dieser Arbeit – wählte einen völlig anderen, pragmatischeren Ansatz: einerseits die Analyse von Preisbeziehungen – etwa die Put-Call-Parität - ohne stochastische Annahmen (sog. „verteilungsfreie“ Resultate), und anderseits die Herleitung von Preisformeln für spezifische Verteilungsannahmen. Darunter verwendet er die Normalverteilung und gelangt zu einer Formel, die nach geeigneter Variablentransformation eine gerade verblüffende Ähnlichkeit zur Formel von Black-Scholes und Merton aufweist, welche in den 70er Jahren entwickelt und in den 90er Jahren mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Ja selbst die Idee der Arbitragefreiheit von Preisen, allerdings nicht so bezeichnet, findet man in seiner Arbeit. Diese wurde jedoch weitestgehend vergessen – die Verweise lassen sich an einer Hand abzählen.
Diese Erkenntnisse ergänzt um den kulturellen und persönlichen Hintergrund von Bronzin’s Wirken wurden vor einigen Jahren in einer Buchpublikation dokumentiert, zusammen mit dem Originaltext der Arbeit sowie einer englischsprachigen Übersetzung. Der Autor wurde auf Istrien geboren und hat seine Studien in Mathematik und Physik in Wien absolviert. Anschliessend unterrichtete er an der k.u.k. Handelsakademie in Triest, der damals bedeutendsten Seehandelsmetropole der Donaumonarchie, wo auch viele der grossen Versicherungsgesellschaften (Generali, Österreichische Lloyd) gegründet und ansässig waren. Zu seinen Verpflichtungen gehörten Kurse in aktuarieller Mathematik sowie modernen Finanzinstrumenten. Bronzin war an der Akademie – auch nach dem Anschluss Triests an Italien - nicht nur als Professor, sondern über lange Jahre hinweg auch als deren Direktor tätig. Interessant und verwirrend: Seine Publikation über die Prämiengeschäfte hat er nie auf seiner (durchaus vorhandenen) Publikationsliste erwähnt, noch hat er Zeit seines langen Lebens – er starb 1970 im Alter von 98 Jahren – je wieder etwas über Finanzmathematik publiziert.
Als öffentliche Anerkennung des Wirkens Bronzin’s fand am 21. Dezember 2015 die Einweihung der Piazzetta Vincenzo Bronzin in Triest statt. Die Nachkommen, vor allem die Familie Raldi, haben erheblichen Anteil an dieser Ehrung. Es gibt stattlichere Plätze in Triest, aber nur wenige, die zentraler gelegen sind – nur ein Steinwurf von der Börse entfernt, wo Termin- und Prämiengeschäfte gehandelt wurden.
Das Buch enthält eine Reproduktion des Originaltextes (1908) von "Theorie der Prägeschäfte", die erste Übersetzung dieses Textes (von Igor Uszczapowski von Ralph Lemster Financial Translations), biographische Details und Illustrationen über Bronzins Leben und Werk, sowie etwa 20 Originale Papiere, die von einer Vielzahl von Autoren aus verschiedenen Fachrichtungen beigesteuert und in vier Abschnitte gegliedert wurden: Hintergrund und Beurteilung von Bronzin's Werk; Kultureller und sozio-historischer Hintergrund; Triest; Finanz-, Wirtschafts- und Versicherungsmathematik.
Mitwirkende Autoren
Elena Esposito (Modena), Yvan Lengwiler (Basel), Giorgio Gilibert (Trieste) and Francesco Magris (Paris), Wolfgang Hafner (Windisch), Espen Gardiner Haug (London), Anna Millo (Bari), Ermanno Pitacco(Trieste), Geoffrey Poitras (Canada), Floavio Pressacco (Udine), Josef Schiffer (Graz), Hartmut Schmidt (Hamburg), Ernst Juerg Weber (Western Australia), Heinz Zimmermann (Basel).
Publikationen
Hafner W. and H. Zimmermann: “Amazing discovery: Vincenz Bronzin’s Option Pricing Models”, Journal of Banking and Finance 31, 2007, pp. 531-546
Hafner W. and H. Zimmermann: „Vinzenz Bronzin’s Optionspreismodelle in theoretischer und historischer Perspektive“, in: W. Bessler (Ed.): Banken, Börsen und Kapitalmärkte, Festschrift für Hartmut Schmidt zum 65. Geburtstag, Duncker & Humblot, 2006, pp. 733-758
Hafner W. and H. Zimmermann: „Vincenz Bronzin’s Option Pricing Theory: Contents, Contribution, and Background”, in: G. Poitras (Ed.): Pioneers of Financial Economics. Volume 1: Contributions Prior to Irving Fisher; Edward Elgar, 2006, chapter 11, pp. 238-264