Fabian Schär

Fabian Schär, Sie haben eine Professur für Blockchain und Distributed Ledger an der Universität Basel. An welchen Forschungsthemen arbeiten Sie zurzeit?
Ich arbeite sowohl zum Thema Blockchain als auch zum Themenbereich Metaverse. Beides ist sehr spannend, aber momentan scheinen mir vorwiegend die Blockchain-Themen gesellschaftlich hochrelevant. Die Forschungsprojekte in diesem Themenbereich sind an der Schwelle von Finanzmarktforschung und Computer Science angesiedelt und meine eigene Forschung hat einen klaren Fokus auf Fragen zur Governance in der Blockchain-gestützten Finanzinfrastruktur.

Warum dieser Fokus auf Governance?
Weil aktuell einiges im Umbruch ist und eine vollkommen neue Finanzinfrastruktur entsteht, die zukünftig als Basis für unser gesamtes ökonomisches Handeln, für die gesamte Wirtschaft dienen wird. Aktuell deutet einiges darauf hin, dass zukünftig ein wesentlicher Teil aller Finanztransaktionen über Blockchain-basierte Plattformen laufen werden. Dementsprechend ist es von entscheidender Bedeutung, wie dieses System ausgestaltet ist. Werden wir zum Beispiel nur ein System verwenden, einen sogenannten Single Ledger, oder werden wir mehrere konkurrierende Systeme, also eine fragmentierte Infrastruktur haben? Ebenfalls von grosser Bedeutung ist die Frage, wer einen Einfluss auf die Regelsetzung dieser Plattformen hat und welche Wirkung die existierenden Regeln haben. Im schlimmsten Fall kommt es zu Abhängigkeiten, in denen auf grundlegendster Infrastrukturebene ein Monopol geschaffen wird.

Wie sieht ein konkretes Forschungsprojekt zu solchen Fragen aus?
Wir schauen uns solche Abhängigkeiten auf verschiedenen Ebenen an. Ein Projekt, das konkrete Zentralisierungsvektoren auf Finanzprotokoll-Ebene analysiert, war unsere Untersuchung sogenannter Oracles. Damit sind Datenprovider gemeint, die für die Ausführung bestimmter Smart Contracts entscheidend sein können. Zum Beispiel kann die Auszahlung einer Unwetterversicherung von Wetterdaten abhängig gemacht werden. Solche Daten entstehen nicht auf der Blockchain sondern werden von aussen eingelesen. Wir haben in einem Projekt empirisch untersucht, ob Preisdaten-Oracles ihre Daten in der versprochenen Qualität bereitgestellt haben oder ob es dabei zu «Violations», also zu erheblichen Abweichungen kam. Wenn solche Abweichungen vorlagen, haben wir überdies analysiert, wie und unter welchen Umständen diese wieder korrigiert wurden. Gerade dieses letzte Thema der Responsivität ist zum Beispiel in dezentralen Kreditmärkten essenziell. Dort werden Wertschwankungen eines Kollaterals anhand von Oracles bestimmt. Die Daten bestimmen somit darüber, ob eine Position liquidiert wird oder nicht.

Wenn Sie von empirischer Untersuchung sprechen, ist damit eine klassische ökonometrische Analyse gemeint?
Letztlich ja. Aber wir beziehen den Grossteil unserer Daten von der Blockchain. In diesem Fall haben wir mit Daten der Ethereum-Blockchain gearbeitet, der Plattform, auf welcher zurzeit die meisten Finanzanwendungen laufen. Diese Transparenz und die Verfügbarkeit der Daten sind zwei der grossen Vorteile der Blockchain. Dies hat uns in einem anderen Projekt auch erlaubt, die Spielregeln des Systems zu analysieren, also die Regeln, die den Interaktionen auf der Blockchain, zum Beispiel der sogenannten Konsensfindung, zugrunde liegen. Gerade die Konsensfindung hat man in den Computer Sciences ausführlich analysiert. In unserem Projekt sind wir noch eine Ebene tiefer gegangen und haben uns angeschaut, wie die Regeln ausgestaltet sind, die die Interaktionen auf der Blockchain steuern. Insbesondere haben wir die Frage untersucht, wer einen Einfluss auf die Ausgestaltung dieser Regeln ausüben kann.

Was haben Sie dabei gefunden?
Zum einen hat sich bestätigt, wie transparent das System ist. Das ist aussergewöhnlich und ich beurteile das als sehr positiv. Gleichzeitig ist der Kreis an Teilnehmern, die sich in komplexe technische Fragen einbringen, wiederum recht klein. Es gibt also durchaus eine gewisse Konzentration der Einflussnahme. Für mich ist das eine der zentralen Governance-Fragen: Wenn wir mit einem offenen, neutralen Protokoll starten, wie wird sich dieses System dann weiterentwickeln? Bleibt es so offen, wie es gestartet ist? Oder anders gefragt: Welche Instanzen sind in die Weiterentwicklung eines solchen Systems involviert und nehmen Einfluss darauf?

Aus einer ökonomischen Perspektive würde man vermuten, dass diese Governance-Themen besonders gewichtig sind, wenn die Infrastrukturentscheidung, über die Sie eingangs gesprochen haben, zugunsten eines einzigen Systems ausfällt?
Richtig. Governance-Themen werden komplexer und auch wichtiger in einer Single-Ledger-Welt. Doch es gibt auch einige Gründe, die umgekehrt für ein einziges System sprechen. Wir haben genau dieses Thema ebenfalls in einem Forschungsprojekt analysiert und einen klassischen Trade-Off zwischen Governance und Effizienz ausgemacht. In technischen Begriffen der Blockchain-Welt ausgedrückt, ermöglicht ein einheitliches System «Atomicity» und «Composability». Damit sind die Verknüpfbarkeit von Applikationen nach einem Bausteinprinzip einerseits und die Verknüpfbarkeit einzelner Transaktionen andererseits gemeint. Atomicity und Composability haben sehr hohe Netzwerkeffekte, die vermuten lassen, dass es in die Richtung einer dominanten Plattform gehen könnte.

Bleibt noch die Frage, wer diese Plattform aufbaut und betreibt?
Das ist momentan eine der wichtigsten Fragen überhaupt. Grundsätzlich sind drei Varianten denkbar: Ein System, das durch den privaten Sektor, also durch eine Firma, betrieben wird. Ein System, das durch eine Institution des öffentlichen Sektors wie zum Beispiel den IMF oder die BIS aufgebaut und koordiniert wird. Oder als dritte Variante ein dezentrales, offenes und neutrales System, in dem es auf der untersten Ebene, dem Base Layer, keine Gatekeeper gibt.

Was wäre Ihre Prognose? Welche Art von System werden wir haben und wer entscheidet das?
Die Entscheidung wird zumindest teilweise durch den Wettbewerb getroffen. Meta (damals Facebook) zum Beispiel hat vor einigen Jahren den Versuch einer privat betriebenen Infrastruktur gewagt und ist damit gescheitert. Aus gutem Grund, wie ich meine (vergleiche Blogbeitrag weiter unten).

Aktuell gibt es zahlreiche Vorstösse von Institutionen des öffentlichen Sektors, deren «Blockchain»-Projekte intensiv miteinander konkurrieren. Auch hier bin ich äusserst skeptisch, da diese Projekte in aller Regel höchst zentralisiert sind und ein Monopol bei einer solch fundamentalen Basisinfrastruktur erhebliche Gefahren birgt. Aktuell deutet aber einiges darauf hin, dass sich am Ende keine dieser Institutionen durchzusetzen vermag und wir eine neutrale, dezentrale Plattform haben werden. Aus meiner Sicht wäre das auch klar die beste Option – sofern diese Systeme nachher nicht untergraben werden. Genau deshalb fokussiert sich der Grossteil meiner Forschung auf die Funktionsweisen eines solchen dezentralen Systems, auf die Governance und darauf, mögliche Schwachstellen aufzuspüren – damit eine neutrale Finanzinfrastruktur dann auch auf Dauer neutral und offen bleiben kann.

Blot bild

Blogbeitrag von Prof. Dr. Fabian Schär vom 15.06.2020

Libra, digitales Geld und Systemrelevanz

Vor ziemlich genau einem Jahr kündigte ein Schweizer Verein rund um Facebook die Digitalwährung Libra an. Die Idee: Jede Person sollte spielend leicht digitale Werteinheiten, die einen Anspruch auf verschiedene Landeswährungen verkörpern würden, übertragen können. Das Ganze sollte auf einer verteilten Datenbank, also einer Art Blockchain, entstehen. Die Neuigkeiten wurden mit grossem Interesse verfolgt und breit diskutiert. Dabei wurde schnell klar, dass das Projekt eine Vielzahl an potentiellen Problemen mit sich bringen würde: von Datenschutzbedenken, über wettbewerbsrechtliche Fragestellungen bis hin zu Sorgen hinsichtlich der monetären Souveränität von Staaten und Zentralbanken. Libra wurde von allen Seiten kritisiert und eine Umsetzung erschien chancenlos. Zu gross war der weltweite Widerstand, insbesondere von Finanzmarktregulatoren und Zentralbanken.