Fokus ForschungPigovian Transport Pricing: Von der Theorie in die Praxis

Beat Hintermann

Newsletter #7 | 15.09.2025

Professor Hintermann, Sie untersuchen, ob und wie sich das Verhalten der Verkehrsteilnehmer ändern lässt. Warum ist das eine relevante Frage?
Weil Mobilität sehr hohe externe Kosten verursacht, die nicht vom Einzelnen getragen werden. Erstaunlich ist, dass sich daran in den letzten 30 Jahren kaum etwas geändert hat – zumindest beim Auto. Als wir 2019 unsere erste grosse Studie MOBIS starteten, wurden ebenfalls die neuesten Zahlen für den CO2 Ausstoss publiziert. Der Autoverkehr stand genau auf dem Level von 1990. Die Autos werden zwar effizienter, aber es gibt immer mehr Autos und die Effizienzgewinne werden durch mehr Fahrzeuge und Bevölkerungswachstum kompensiert. Im Gegensatz dazu konnten Industrie und Haushalte ihre Emissionen deutlich senken. Wenn auch die Mobilität Fortschritte machen soll, braucht es wirksame Instrumente. Ich untersuche in meinen Projekten, welche Art von Instrumenten sich dafür eignen.

Sie sprechen von mehreren Projekten. Können Sie uns einen Überblick geben?
Unser erstes grosses Projekt war MOBIS, ein interdisziplinäres Feldexperiment mit der ETH und der ZHAW, gefördert von Innosuisse und UVEK. Wir untersuchten Auto, ÖV und Fahrrad, wobei die Reduktion von Autokilometern im Zentrum stand. Später folgte EBIS, das auf E-Bikes fokussiert war. Und gerade haben wir ein drittes Projekt zum ÖV gestartet. So decken wir schrittweise alle drei zentralen Verkehrsträger ab.

MOBIS und auch EBIS waren Feldexperimente. Wie muss man sich den Aufbau und den Ablauf konkret vorstellen?  
In beiden Projekten gab es ein Sample von Probanden, deren Mobilitätsverhalten wir mit dem Smartphone getrackt haben. Bei MOBIS hatten wir ein repräsentatives Sample für die Schweiz von rund 3000 Personen. Bei EBIS war das Sample explizit auf E-Bike Fahrerinnen und Fahrer zugeschnitten und daher nicht repräsentativ, umfasste aber ebenfalls rund 4000 Personen. Der Aufbau der Experimente war bei beiden Projekten sehr ähnlich. In einer ersten Phase wurden die Teilnehmer nur beobachtet. Anhand der gewählten Verkehrsträger und der gefahrenen Kilometer wurden anschliessend die externen Kosten auf Personenebene erhoben.

Kann man die externen Kosten mit den CO2 Kosten gleichsetzen?
Nein! CO2 ist ein wichtiger Bestandteil, macht jedoch nur etwa 20 bis 25% der Gesamtkosten aus. Wir haben zusätzlich die lokalen Verschmutzungen beispielsweise vom Pneuabrieb, sowie die Stau- und Unfallkosten integriert.

Diese Kosten wurden also auf Personenebene erhoben?
Genau. In der zweiten Phase haben wir rund einem Drittel der Probanden ein Budget gegeben, das etwas mehr als ihren bisherigen Ausgaben entsprach. Ihre Aufgabe war, mit diesem Budget zu haushalten. Da Autofahrten die höchsten Kosten verursachen, konnten Autofahrerinnen sparen, indem sie den ÖV benutzten oder Velo fuhren. Velos verursachen die tiefsten Kosten. Wer also bis anhin mit dem ÖV unterwegs war, konnte immer noch sparen, indem er aufs Fahrrad umstieg. Wer das geschafft hat, also günstiger unterwegs war als bisher, durfte die Ersparnis behalten. Damit haben wir bei diesem Drittel einen klaren monetären Anreiz. Ein weiteres Drittel der Probandinnen wurde einfach nur über das Ausmass der externen Kosten informiert. Das letzte Drittel war die Kontrollgruppe, die gar kein Treatment erhielt. 

Was kam dabei heraus?
Wir konnten klar nachweisen, dass Preise wirken, die reine Information jedoch leider wenig bringt. Die Probandengruppe mit Budget hat auf das Treatment reagiert, wer aber nur informiert wurde, zeigte praktisch keine Reaktion.

Was waren die konkreten Resultate in der Gruppe, die ein Budget erhielt?
Die Gesamtdistanz der Reisen hat sich kaum verändert, aber die Wahl des Verkehrsträgers sehr wohl. Es wurde weniger Auto gefahren und mehr auf ÖV oder Velo umgestiegen. Dadurch gingen die externen Kosten um etwa fünf Prozent zurück. Das ist kein riesiger, aber ein signifikanter Effekt. Im EBIS Projekt waren die Effekte ganz ähnlich. Die Probandinnen hier waren ja bereits E-Bike Fahrerinnen. Diejenigen die ein Budget erhielten, sind 7% weniger Auto gefahren und 11% mehr mit dem Fahrrad. Der Rest war eine Verlagerung auf den ÖV. 

Was sind Ihre Schlussfolgerungen daraus?
Preise wirken.Und man braucht auch nicht unbedingt eine ausgeklügelte Pigou-Steuer, wie wir sie im Experiment verwendet haben. Auf Basis der realen Experimentdaten haben wir zusätzlich auch ein Discrete Choice Modell geschätzt. Mithilfe dieses Modells lassen sich nun Szenarien simulieren, etwa was geschieht, wenn die Benzinpreise steigen oder eine Stauabgabe eingeführt wird. Wie verändert sich die Autonutzung, wenn die Preise steigen? Wie stark weichen Menschen auf Velo oder andere Verkehrsmittel aus? Damit liegen belastbare Informationen zu Eigen- und Kreuzpreiselastizitäten sowie zum Trade-off zwischen Zeit und Geld vor. Dieses Paper wurde inzwischen auch von der Review of Economic Studies akzeptiert. 

Um die Ergebnisse vergleichbar zu machen, haben wir alle Simulationen so kalibriert, dass die Staatseinnahmen identisch mit denen der Pigou-Steuer wären. Dabei zeigt sich, dass eine Benzinsteuer in Kombination mit einer Kilometerabgabe für Elektrofahrzeuge bereits rund 70% der Wohlfahrtsgewinne einer Pigou-Steuer erzielen könnte.

Symbolbild

E-Bike statt Auto
Text: Barbara Spycher

Schneller als ein Velo, umweltverträglicher als ein Auto: Das E-Bike bietet viele Vorteile. Was genau bewegt Leute zum Umsteigen von vier auf zwei Räder?
Mit bis zu 45 Stundenkilometern flitzen E-Biker und E-Bikerinnen mittlerweile über Land und durch Innenstädte. Und es werden immer mehr. In diesem Boom steckt auch verkehrs- und klimapolitisches Potenzial. E-Bikes könnten helfen, die CO₂-Emissionen im Verkehr zu reduzieren. Denn sie machen das Radfahren für breitere Kreise der Bevölkerung attraktiv und können das Auto dank der höheren Geschwindigkeit auch auf längeren Strecken ersetzen. Doch funktioniert das in der Realität auch? Unter welchen Voraussetzungen? Und wie viel CO₂ lässt sich dadurch einsparen?

Dabei liegt der Vorteil bei der Machbarkeit, bzw bei den Transaktionskosten. Natürlich hängen die Resultate von den Modellannahmen ab, doch selbst bei konservativer Interpretation stellt sich die Frage, ob sich der Aufwand lohnt, für die verbleibenden 30% die gesamte Bevölkerung systematisch zu tracken, was eine Pigou-Steuer voraussetzen würde. 

Der Benzinsteuer wird immer wieder vorgeworfen, dass sie unsozial sei.
Das ist ein wichtiger Punkt. Benzinsteuern sind tatsächlich regressiv, sie treffen einkommensschwächere Haushalte stärker. Umgekehrt sind reichere Haushalte im Durchschnitt mehr unterwegs. Dadurch würden sie die Hauptlast der Steuer tragen. Zusätzlich müsste man einen Teil der Einnahmen rückvergüten, was nach unseren Berechnungen den regressiven Effekt ausgleichen würde. Ein pragmatisches Modell wäre beispielsweise eine Rückvergütung über die Krankenkassenprämien.

Nehmen wir an die Instrumente wirken wie gewünscht und zahlreiche Menschen steigen auf den ÖV um, würde dies nicht zu Kapazitätsproblemen führen?
Genau diese Problematik untersuchen wir aktuell in unserem nächsten Projekt. Wir wollen testen, ob Rabatte für Off-Peak-Fahrten zu einer zeitlichen Entzerrung führen können. In Zusammenarbeit mit der Firma FAIRTIQ, die eine App ähnlich wie EasyRide betreibt, führen wir ein randomisiertes Experiment durch: Nutzerinnen bekommen beispielsweise 30 Prozent Rabatt, wenn sie ausserhalb der Stosszeiten fahren. So wollen wir herausfinden, ob sich die Nachfrage zeitlich verschieben lässt.

Was ist Ihr Fazit?
Die wichtigste Erkenntnis unserer bisherigen Forschung ist: Preise wirken. Reine Information ist zu schwach und allenfalls als Ergänzung sinnvoll. Gleichzeitig ist ein umfassendes Mobility Pricing im Pigou-Sinn politisch und technisch schwierig. Realistischer sind wohl einfache Instrumente wie eine Benzinsteuer, ergänzt durch eine Kilometerabgabe für Elektrofahrzeuge und flankierende Massnahmen im ÖV. Damit lässt sich ein grosser Teil der theoretischen Wohlfahrtsgewinne erreichen.

Ob es am Ende Mobility Pricing, Benzinsteuern oder eine Kombination ist – entscheidend ist, dass die externen Kosten künftig stärker eingepreist werden. Nur so schaffen wir den notwendigen Wandel.

Working Paper

WWZ Working Paper 2021/11: Beat Hintermann; Beaumont Schoeman; Joseph Molloy; Thomas Götschi; Alberto Castro; Christopher Tchervenkov; Uros Tomic; Kay W. Axhausen (2025): "Pigovian Transport Pricing in Practice"

MOBIS

Förderung des nachhaltigen Mobilitätsverhaltens mittels Mobility Pricing und informationaler Anreize

Zur Beschreibung
 

Interview und Text: Dr. Brigitte Guggisberg

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