Klimakrise, Energiekrise, Importabhängigkeit, Blackout, Landschaftsverschandelung … Die Energiedebatte ist nicht arm an Schlagworten und ideologisch verfestigten Standpunkten. Mit der Abstimmung vom 09. Juni 2024 wird diese Debatte erneut angefacht. Denn mittlerweile ist zwar klar, dass die Schweiz ihr Energiesystem umstellen muss, jedoch nicht, was das konkret bedeutet. Professor Hannes Weigt forscht seit 2011 an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zur Zukunft der Schweizer Stromversorgung, bei der die europäischen Nachbarn eine zentrale Rolle spielen.

Hannes Weigt

Prof. Dr. Hannes Weigt

Strom ist ein kompliziertes Gut: man sieht ihn nicht, Produktion und Nachfrage müssen zu jedem Zeitpunkt in Balance sein und er braucht ein kompliziertes technisches Netz, um überhaupt bei uns anzukommen. Bereits heute ist Strom aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken und er wird als Energieträger der Zukunft noch unabdingbarer sein, wenn vom Auto bis zur Heizung alles mit Strom betrieben wird. Entsprechend wichtig ist daher die Frage der Stromversorgungssicherheit.  

Dieses Thema ist für Professor Weigt ein Kernthema seiner Forschung. Mit Kollegen von der ETH Zürich hat er die Versorgungssicherheitsstudien (System Adequacy) für das Bundesamt für Energie (BFE) erstellt und wird das zukünftige Energiesystem der Schweiz auch im Forschungskonsortium SWEET CoSi weiter untersuchen.

Bisher ruht die Schweizer Stromversorgung auf den Säulen Wasserkraft und Kernkraft sowie einer Integration in das europäische Stromsystem. Mit zunehmendem Alter der Kernkraftwerke und der gleichzeitig steigenden Nachfrage nach Strom ist ein Ausbau und ein Umbau der Stromversorgung unabdingbar. Die verschiedenen modellgestützten Zukunftsanalysen (z.B. SWEET CROSS Scenarios). stimmen überein, dass erneuerbare Energien – insbesondere Solarenergie –  zur neuen zweiten Säule neben der Wasserkraft werden soll. Doch wie kann in einem auf saisonaler und wetterabhängiger Stromerzeugung basierenden System die Versorgungssicherheit gewährleistet werden?

Für Professor Weigt sind hierfür drei Faktoren entscheidend:  Flexibilität auf der Angebotsseite, Flexibilität auf der Nachfrageseite und gute Nachbarschaft. Auf der Angebotsseite, sagt Weigt, sei die Schweiz dank ihrer Wasserkraft bereits sehr gut aufgestellt. «Die Speicherseen geben uns ein Flexibilitätspotential in Relation zu unserer Nachfrage, von der viele Länder nur träumen können.»

Auf der Nachfrageseite werden Wärmepumpen und Elektroautos zwar einerseits die Nachfrage erhöhen, anderseits sagt Weigt, bringen sie auch Flexibilität ins System, die mit dem Setzen von Anreizen gesteuert werden könne. Insbesondere die differenzierte Gestaltung von Tarifen bietet hier Möglichkeiten. Gemeinsam mit Professor Frank Krysiak (Umweltökonomie) untersucht Professor Weigt in einem aktuellen Projekt die Auswirkungen verschiedener Tarifoptionen für das Schweizer Stromsystem. Option Eins ist der klassische Tarif mit verschiedenen, vorher fixierten Hoch- und Niedrigpreisphasen. Option Zwei ist ein Tarifsystem bei dem der Haushalt sein Versorgungssicherheitslevel definiert und seine Flexibilität dem Versorger zur Verfügung stellt. Der zweite Ansatz führt dazu, dass Wärmepumpen oder Autobatterien systemdienlicher eingesetzt werden, also nicht dann geladen werden, wenn ohnehin wenig Strom im System ist. Wenn sich der Haushalt hingegen an seinen Tarifphasen orientiert, werden diese Verbraucher in der Niedrigtarifzeit hochgefahren. Meisten wird der Niedrigtarif mit der Phase niedriger Marktpreise übereinstimmen, aber eben nicht immer. Die Tarifgestaltung nach Option Zwei führt daher in Summe zu einem effizienteren System und hilft mit, die Wetterdynamik auf der Angebotsseite besser zu managen.

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«Neben der Tarifgestaltung» so Weigt, «bleibt dann noch die Gretchenfrage, wie wir es mit unseren Nachbarn halten.» Bisher war die Integration in das gesamteuropäische Stromsystem der Garant für eine sichere Stromversorgung, denn im Winter greift die Schweiz regelmässig auf Importe aus Europa zurück. Das wird in Zukunft kaum anders sein, da man im Winter weiterhin eine hohe Nachfrage und tendenziell geringere Erzeugung haben wird.

Es stellt sich daher weniger die Frage, ob oder wie viel die Schweiz importiert, sondern vielmehr die Frage, ob sich die Schweiz auf die Importe, die sie haben möchte, verlassen kann. Hier bringt Professor Weigt die Wasserkraft und Flexibilität wieder ins Spiel. Stromsysteme sind dynamisch. Je nach Wetter hat es mehr oder weniger Erzeugung und Nachfrage. Und diese Schwankungen sind gross; so macht der Unterschied zwischen der Tagesspitzennachfrage und nächtlichen Niedrignachfrage in Frankreich im Winter gut 15-20 GW aus, das ist nahezu zweimal so viel wie die Schweiz als gesamte Spitzenlast hat. Wenn es im europäischen Stromsystem eng ist, werden Importe nur bedingt verfügbar und überdies sehr teuer sein. In diesen Zeiten kann die Schweiz ihre Wasserkraft hochfahren und möglichst auch noch exportieren. In Zeiten niedriger Nachfrage oder hoher Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien kann hingegen problemlos importiert werden.

Wenn die Schweizer Wasserkraftbetreiber sich dem Spiel der Marktkräfte anpassen, werden sie ihre Turbinen nur dann anstellen, wenn ihre erwarteten Opportunitätskosten – das Wasser also im See zu lassen und später zu verkaufen – nicht höher sind als die aktuellen Marktpreise. Doch eine unzureichende Integration in die europäischen Märkte kann dieses Zusammenspiel verzerren.

Daneben sind auch die Opportunitätskosten selbst Unsicherheiten ausgesetzt, denn sie bilden nur die Erwartungshaltung der Firmen ab. Sollten die Wasserkraftbetreiber die Lage falsch einschätzen, so die Sorge, könnten die Schweizer Stauseen am Ende des Winters zu wenig Wasser enthalten, um eine unvorhergesehene Knappheit am Strommarkt noch zu decken. Für diesen Fall wurde die sogenannte Speicherreserve eingeführt, eine vordefinierte Menge, die über ein Bieterverfahren sicherstellt wird.

Themen FoNEW

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Professor Weigt und sein Team haben in der Diskussion über diese Reserve die ökonomischen Herausforderungen modelliert und auch das potentiell strategische Verhalten von Akteuren mit grossen Speicherseen (und damit niedrigen Opportunitätskosten) analysiert. Diese grossen Akteure könnten je nach Ausgestaltung der Reserve eine hohe Marktmacht erhalten. Das Stromgesetz über das die Schweizer Stimmbevölkerung am 9. Juni abstimmen wird, schlägt in diesem Punkt bereits eine Anpassung vor: die Speicherreserve würde statt über Ausschreibungen neu mittels verpflichtender Vorgaben gebildet. Dies hat aus ökonomischer Sicht den Nachteil, dass ein Ausgleich der Grenzkosten über die Anbieter hinweg nicht mehr erzielbar ist, also keine Kosteneffizienz erreicht werden kann. Demgegenüber, so Hannes Weigt, könne man aber das strategische Verhalten in der Ausschreibung vermeiden. «Welcher der beiden Effekte am Ende überwiegt, müsste aber erst noch analysiert werden.»

Mehr zur Forschung von Hannes Weigt finden sie auf der Homepage der Forschungsstelle für Nachhaltige Energie und Wasserversorgung.

CoSi

https://www.sweet-cosi.ch/

CoSi – Co-Evolution and Coordinated Simulation of the Swiss Energy System and Swiss Society

Die Frage, wie unser zukünftiges Energiesystem nun genau aussieht und was wir machen müssen um dorthin zu gelangen ist auch die zentrale Frage, welcher Professor Weigt im Rahmen des SWEET CoSi Konsortiums nachgeht. Eine zentrale Herausforderung dabei ist es ‘mehr Mensch’ in Energiemodelle und -szenarien zu bringen. Die meisten Szenarienanalysen basieren auf technisch orientierten Kostenmodellen. Menschliches Handeln und Interaktionen, Märkte und Preise, Firmen und Strategien oder politische und juristische Rahmenbedingungen sind, wenn überhaupt, nur sehr vereinfacht abgebildet. CoSi hat sich zum Ziel gesetzt, dies zu ändern und die sozial- und geisteswissenschaftlichen Perspektiven stärker in die Energiemodellierung und allgemeine Energieforschung einzubinden.

Das Forschungskonsortium SWEET CoSi ist Bestandteil des SWEET – “Swiss Energy research for the Energy Transition” Programms des BFE. Ziel von SWEET ist die Förderung von Innovationen, die wesentlich zur erfolgreichen Umsetzung der Energiestrategie 2050 und der Erreichung der Schweizer Klimaziele beitragen. Nähere Informationen zu SWEET finden sie auf der Webseite des BFE.

Energiezukunft Schweiz

Warum brauchen wir in Zukunft mehr Strom? Hat es genug Importe für die Schweiz? Und was kostet diese Energiewende eigentlich? Nicht nur aufgrund der bevorstehenden Abstimmung gibt es viele Fragen in Bezug auf unsere aktuelle und zukünftige Stromversorgung. Professor Weigt hat gemeinsam mit Kollegen aus Zürich und Lausanne Antworten, welche die Wissenschaft zumindest auf einige dieser Fragen geben kann, zusammengetragen und auf https://energiezukunft-schweiz.ch/ bereitgestellt. Wenn Sie also noch offenen Fragen haben, klicken sie rein.