Erfahrungsbericht von Jeremy Weill (Masterstudium)

Ohne viel Vorkenntnisse über dieses Land, Provinz, Region oder wie man Taiwan in dieser politisch komplizierten Situation nennen will, ging ich im September 2014 an die National Chengchi University nach Taipei. Ich war zuvor noch nie im Fernen Osten und konnte deshalb überhaupt nicht einschätzen wie es in Taipei und Taiwan sein würde. Das war vermutlich auch gut so, denn ohne Erwartungen kann nichts schiefgehen. Das einzige was ich nach der Aufnahme an die Uni und dem Flug organisiert hatte, war die Unterkunft. Doch ich würde äusserst positiv von dieser Insel überrascht, die flächenmässig kleiner als die Schweiz ist, aber dreimal so viele Einwohner zählt.

Wohnen:

Ich wohnte das halbe Jahr im I-House (International House), eine Art inoffizielle Uniresidenz, fünf Gehminuten vom Campus. Ich empfehle es sehr im I-House zu wohnen, vermeidet man so eine unangenehme Wohnungssuche zu Beginn des Aufenthalts in Taipei und wohnt Nahe an der NCCU. Vor allem aber lernt man in der Residenz auch extrem schnell viele Leute kennen. Es gibt Einzelzimmer (ca. Fr. 350.-/Monat) und Doppelzimmer (ca. Fr. 250.-/Monat). Die Badezimmer sind jeweils direkt in den Zimmern. Einziger Nachteil am I-House ist, dass man nicht kochen kann. Es gibt zwar eine Küche mit einer Mikrowelle und einem Ofen, allerdings ohne Herd. Jedoch haben auch viele Wohnungen in Taipei keine richtige Küche und das Preisniveau für Essen ist für Schweizer tief.

Wohnungspreise pro Zimmer sind ganz unterschiedlich, von ca Fr. 200.- bis 450.-, je nach Lage und Ausstattung. Es gibt auch noch die Zimmer auf dem Campus. Diese sind klar billiger, Bachelorstudenten müssen sich das Zimmer jedoch zu viert teilen, Masterstudenten zu zweit. Zudem sind die Zimmer am Ende des Campus’- von der Busstation rund 15 Gehminuten entfernt.

Die Stadt:

Taipei ist zwar eine grosse Stadt (2.7 Mio. Einwohner, Metropolregion knapp 7 Mio.), allerdings ist sie überschaubar. Die NCCU liegt am südöstlichen Stadtrand, mit dem Bus ca. 15-20 Minuten zum herausragenden, 508 Meter hohen „Taipei 101“, um den sich eine kleine Innenstadt mit Shops und Restaurants entwickelte. Es gibt jedoch mehrere Zentren in Taipei. Braucht man die U-Bahn, muss man je nachdem mit Umsteigen schon mit Fahrzeiten von bis zu 40 Minuten rechnen. Ich persönlich habe aber die NCCU-Gegend unter der Woche selten verlassen, da man dort mit allem versorgt ist. Sehenswürdigkeiten gibt es einige, nebst dem „Taipei 101“ und einigen Aussichtspunkten mit Blick über die Stadt, gibt es Museen, Hot Springs (heisse Naturquellen), den Zoo mit Pandabären, Nightmarkets sowie diverse unterschiedliche Stadtteile von hochmodern bis altmodisch.

Taiwan:

Ich bin überzeugt, dass es eine Frage der Zeit ist, bis Taiwan eine touristische Attraktion wird wie andere Länder in Südostasien. Es gibt Nationalparks mit Bergen, einige Strände, Grossstädte und auch Tempel übers ganze Land verteilt. All diese Orte sind von Taipei aus perfekt geeignet für Wochenend-Trips oder wenn man alles auf einmal machen will, in einem gut einwöchigen Roadtrip. Mein persönlicher Höhepunkt war Kenting im Süden, mit mehreren Stränden und Schnorchelmöglichkeiten. Auch wenn es einige – vor allem einheimische – Touristen gibt, sind diese Strände nicht wirklich touristisch in dem Sinne, dass sie mit Leuten und Läden überflutet sind. Zum Beispiel sind die Menus in den Restaurants nicht immer auch auf Englisch angeschrieben.

Gleiches gilt für Taroko, einem Nationalpark im mittleren Osten der Insel. Wichtig bei Ausflügen ist, sich immer rechtzeitig um eine Bewilligung zu kümmern, denn solche braucht man oftmals. Von Taiwan aus ist es ideal ins Ausland zu reisen. China, Hongkong, Japan, die Philippinen, Südkorea und ganz Südostasien sind alle in maximal 3 Flugstunden zu erreichen. Wichtig ist, sich um allfällige Visa zu kümmern (z. B. China).

NCCU:

Die NCCU („Zhèngdà" (政大)) wird in Taiwan als eine der besten Universitäten des Landes angesehen. Das heisst etwas, denn die Anzahl der Universitäten in Taiwan ist exorbitant hoch. Die Chengchi University ist spezialisiert auf Human- und Sozialwissenschaften, Management, Politik und Internationale Beziehungen. Dies widerspiegelt sich auch im englischen Namen „National University of Governance“ und viele taiwanesische Politiker haben diese Uni besucht.

Gut 16'000 Personen studieren an der NCCU, darunter sind auch sehr viele Austauschstudentinnen und -studenten (ca.300-400) und auch eine grosse Anzahl Degree-Seeking Exchange Students, also solche, die den gesamten Abschluss an der Chengchi-Universität machen. Auch wenn man auch den Kontakt mit den Einheimischen suchen sollte, ist diese Anzahl Austauschstudenten doch angenehm, erleichtert es Kontakt mit den Kommilitonen zu knüpfen. Das Niveau an der NCCU ist vergleichbar mit Basel, der Unterrichtsstil ist jedoch anders. Es besteht oft eine Anwesenheitspflicht und es gilt immer wieder in regelmässigen Abständen Arbeiten und Hausaufgaben abzugeben, dafür gibt es weniger grosse Endprüfungen als in Basel. Das hat mir gefallen, denn so lohnt es sich auch aktiv am Unterricht teilzunehmen und man kommt eher in Kontakt mit dem Professor als in Basel.

Wichtig ist, dass man sich zu Beginn schnell mit den English Courses auseinandersetzt und die Fächer im Online-System wählt. Falls man dies nicht tut, besteht zwar noch die Möglichkeit, Fächer in den ersten zwei Semesterwochen zu belegen, allerdings ist die Teilnehmerzahl in gewissen Fällen limitiert.

Die NCCU ist auch bekannt für die sehr gute Chinesisch-Sprachschule. Obwohl ich sie wegen anderen Vorlesungen nicht besuchen konnte, ist der Sprachkurs empfehlenswert. Allerdings sollte man dann auch versuchen, das erlernte Chinesisch auf der Strasse anzuwenden (was ich mit einem kleinen Wortschatz versucht habe). Es gibt enorm viele Aktivitäten und Studentenclubs. Der Campus bietet eine gute Infrastruktur für viele  Sportarten und eine Teilnahme in einem der Clubs ist zu empfehlen.

Die Einwohner:

Taiwanesen sind gegenüber Ausländern relativ verschlossen und es ist nicht ganz einfach, auch über den Unterricht hinaus mit den einheimischen Studenten in Kontakt zu bleiben. Auch sind die Präferenzen bezüglich Freizeitgestaltung nicht immer die gleichen. Taiwanesen haben sehr strenge Sitten und man sollte zum Beispiel nicht versuchen, diese Sitten zu stören, wie zum Beispiel eine Schlange in der U-Bahn zu umgehen. Sobald man sich jedoch selber ein wenig Mühe gibt und Kontakt sucht, sind Taiwanesen sehr offen und auch gastfreundlich. Taiwanesen sprechen untereinander Chinesisch (Mandarin) und abgesehen von der unteren Arbeiterschicht können die meisten Leute genug Englisch sprechen. Ich hatte selten Probleme auf Grund einer sprachlichen Barriere. Ich empfehle dennoch, dass man einige chinesische Wörter lernt und diese auch auf der Strasse gebraucht. Taiwanesen in unserm Alter sind verglichen zu Festland-Chinesen viel offener und moderner und versuchen sich auch anzupassen. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass alle nebst ihrem traditionellen auch einen englischen Namen haben.

Fazit:

Einen Kulturschock erlebte ich in Taiwan nicht. Gewisse Dinge sind natürlich anders als bei uns, aber Taiwan ist ein äusserst sicheres Land und es geht immer ruhig und gesittet zu und her. Die Chance in Taiwan zu studieren und diese Kultur kennen zu lernen ist einmalig. Deshalb kann ich einen Aufenthalt in Taiwan äusserst empfehlen.